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1.2 Methodisches

Die Kritische Psychologie kritisiert die traditionelle Psychologie auf vier Bezugsebenen (vgl. Abb. 1). Der Sinn der Bezugsebenen ist, sich klar zu machen, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht zu einem Ergebnis führen kann, wenn sich die Kontrahenten bereits über zugrundeliegende Annahmen nicht einig sind. So führt ein Streit auf der einzeltheoretischen Ebene nicht weiter, wenn sich bereits die kategoriale Grundlage unterscheidet. Im Sinne eines ausgewiesenen Wissenschaftsfortschritts geht es dann darum zu der Ebene zu wechseln, auf der tatsächlich der Dissenz liegt.

Abb. 1: Die vier theoretischen Bezugsebenen der Kritischen Psychologie mit dem Schwerpunkt der funktional-historischen Kategorialanalyse.

Die Kritische Psychologie legt mit den vier Bezugsebenen ihre theoretischen Fundamente offen. Es sind dies:

  1. Philosophische Grundlagen: Die Kritische Psychologie bezieht sich auf die materialistische Dialektik des traditionellen Marxismus.
  2. Gesellschaftstheorie: Die Kritische Psychologie bezieht sich auf den historischen Materialismus des traditionellen Marxismus.
  3. Kategorialanalyse: Kategorien sind die Grundbegriffe, wie sie in der GdP entwickelt werden. Hier sieht die Kritische Psychologie ihren wesentlichen Beitrag.
  4. Einzeltheorien: Das sind Theorien über aktualempirische Erscheinungen, die auf Basis des Kategoriensystems entwickelt werden.

Was geschieht nun, wenn ich auf einer der Ebenen einen Dissenz feststelle? Zunächst einmal ist das Ebenenschema und seine offengelegte theoretische Fundierung eine Aufforderung, sich mit den dort formulierten theoretischen Grundlagen auseinanderzusetzen. Es wäre also genau auszuweisen, wo ein Dissenz vorliegt und welche Gründe es für eine andere Sichtweise gibt.

Da es kein Ableitungsverhältnis zwischen den Ebenen gibt, bedeutet eine andere theoretische Sicht — etwa auf der philosophischen oder gesellschaftstheoretischen Ebene — nicht notwendig, dass die entwickelten Kategorien oder Einzeltheorien hinfällg sind. Es wäre jedoch jeweils zu prüfen, an welcher Stelle sich Änderungen ergeben könnten. Darin könnte u.U. auch ein Beitrag zur produktiven Weiterentwicklung der Kritischen Psychologie liegen.

Die Kritische Psychologie ist keine weitere einzeltheoretische Schule innerhalb der Psychologie, sondern sie beansprucht ein wissenschaftliches Paradigma der Psychologie zu begründen. Sie kritisiert an der traditionellen Psychologie den »Mangel an paradigmatisch qualifizierten kategorialen Grundlagen, damit (die) weitgehende Unfähigkeit, über die Gegenstandadäquatheit von Einzeltheorien und -methoden zu entscheiden« (32f). So ensteht das »Kuriosum einer Psychologie ohne Psychisches«, weil es keine wissenschaftlich fundierte Bestimmung des Gegenstands der Psychologie gibt. Sind Gegenstand und die Grundbegriffe unzureichend bestimmt, so lässt sich auch nicht entscheiden, welche Einzeltheorien oder Methoden dem Gegenstand angemessen (adäquat) sind. Das gilt im übrigen für jede Wissenschaft.

Gleichwohl gibt es natürlich Begriffe in der traditionellen Psychologie — und das nicht zu knapp. Diese fassen auch sicherlich irgendetwas von ihrem Gegenstand, nur was und was nicht, ist auf unausgewiesener Grundlage nicht entscheidbar. Die Kritische Psychologie nimmt die tradtionellen psychologischen Begriffe daher als Vorbegriffe, an denen etwas erscheint, das in einem wissenschaftlichen Verfahren erst aufzuklären ist. Zentraler Zugang ist dabei, die historische Gewordenheit des an den Vorgriffen Erscheinenden zu rekonstruieren oder in den Worten der GdP: »durch Aufweis und begriffliche Fassung der im Gegenwärtigen liegenden Historizität« (51). Man versteht, wie etwas ist, wenn man versteht, wie es geworden ist.

Nun wird auch verständlich, was mit »historisch-empirischer Kategorialanalyse« gemeint ist: Das ist Forschung an empirischem Material, das darüber Auskunft geben kann, wie das Psychische in einem geschichtlichen Prozess entstanden ist und sich in der Folge ausdifferenziert hat. Parallel zu diesem real-historischen Ausdifferenzierungsprozess muss sich der begriffliche Ausdifferenzierungsprozess bewegen. Das, was historisch früher entstanden ist, ist das begrifflich allgemeinere, und das historisch spätere ist das begriffliche spezifischere. In der historisch-empirischen Kategorialanalyse werden die Begriffe also nicht bloß definiert, sondern sie werden überhaupt erst inhaltlich bestimmt.

Im Verlaufe dieses inhaltlich rekonstruierten und begrifflich abgebildeten historischen Entwicklungsprozesses (=Genese) des Psychischen werden dann jene Vorbegriffe »eingeholt«, die die traditionelle Psychologie verwendet. Auf diese Weise werden sie in ihrer inhaltlichen Fassung, Geltung und Reichweite diskutierbar und somit selbst zum Gegenstand der eigenen Wissenschaft. Wo erforderlich werden neue Begriffe entwickelt und vorhandene kritisiert bzw. in ihrer relativen Erkenntnismöglichkeit eingeschätzt.

Ausgangsfrage ist, was das »Psychische« eigentlich ist, von dem schon die Rede war. Wie kann die Grundform des Psychischen, die immerhin die gegenstandkonstituierende Kategorie der Psychologie zu sein beansprucht, gewonnen werden? Die Antwort kann auch wieder nur sein, das Psychische selbst als Ergebnis eines historischen vorpsychischen Entwicklungsprozesses zu begreifen. Ausgangspunkt wird also der Lebensprozess selbst sein (Kap. 2), dessen evolutionäres Entwicklungsresultat die neue Qualität des Psychischen ist. Bevor wir aber inhaltlich einsteigen, sei ein weiterer methodischer Vorgriff vorgenommen.

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