12.4 Instrumentalität und Intersubjektivität

Interpersonale Beziehungen im Modus der restriktiven Handlungsfähigkeit unter Anerkennung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse kennen

»als Grundcharakteristikum … nur das Gegeneinander unterschiedlicher Partialinteressen …, denen gemäß die je eigenen Lebensinteressen durch die Interessen anderer eingeschränkt sind, und ich die Verfügung über meine Lebensbedingungen nur auf Kosten der anderen erweitern kann« (374)

Unter dieser Voraussetzung dienen auch kollektive Aktivitäten dazu, die gemeinsamen Partialinteressen besser gegen andere kollektive Partialinteressen durchsetzen zu können. Diese Bewegungsform unterschiedlicher Interessen entspricht im Kern der bürgerlichen Demokratie-Konzeption.

»Es ist mithin im Rahmen ›restriktiver Handlungsfähigkeit‹ notwendig subjektiv funktional und ›begründet‹, die eigene Macht bzw. die Macht der Gruppe mit den gleichen Partialinteressen zum Zweck der Durchsetzung gegen fremde Partialinteressen zu erhöhen.« (374f)

Holzkamp geht davon aus, dass die »wirkliche Macht in letzter Instanz unangefochten den Herrschenden gehört« (375), weswegen in wie immer vermittelter Form die eigene Machtausübung nur als »Teilhabe an der Macht der Herrschenden« (ebd.) realisierbar ist:

»Das Arrangement mit den Herrschenden schließt hier also tendenziell den Versuch der Partizipation an ihrer Macht zur Absicherung/Erweiterung der eigenen Handlungsfähigkeit auf Kosten fremder Interessen ein, wobei die Unterdrückung von ›Oben‹ in unterschiedlichster Weise nach ›unten‹, an die, auf deren Kosten die eigenen Partialinteressen durchgesetzt werden sollen, weitergegeben wird.« (ebd.)

Der darin liegende personale Beziehungsmodus ist der der wechselseitigen Instrumentalisierung und Kontrolle. Holzkamp illustriert die emotionale Seite kompensatorischer Instrumentalbeziehungen so: Da die Anderen Instrumente zur Umsetzung der eigenen Interessen sind, werden auch Gefühle als Mittel der Instrumentalisierung, des Drucks und der Erpressung eingesetzt. In interaktiven Beziehungen werden emotionale Einheiten tauschartig kompensatorisch verrechnet, wobei das Sich-unter-Druck-gesetzt-fühlen zu einer Grundbefindlichkeit wird. Das wechselseitige Ausleuchten des Innenlebens des jeweils Anderen verselbstständigt sich als besonders intensives »Einfühlen«. Charakteristische emotionale Qualitäten sind Schuldgefühle, Enttäuschung, Empfindlichkeit, Eingechnapptsein, Verletztheit etc. (408f).

Als doppelte Funktionalität bezeichnet Holzkamp die Übereinstimmung von subjektiver Funktionalität der Instrumentalität und Kontrolle im Rahmen restriktiver Handlungsfähigkeit mit der systemischen Funktionalität der Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse. Jede Teilhabe an den Verhältnissen reproduziert auch immer diese Verhältnisse.

Die Alternative der Intersubjektivität im Rahmen der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit bedeutet die

»Überschreitung der Grenzen der individuellen Subjektivität durch unmittelbare Kooperation in Richtung auf die Durchsetzung allgemeiner Interessen der gemeinsamen Selbstbestimmung gegen herrschende Partialinteressen« (373)

Kollektive oder gesellschaftliche Subjektivität, also Handlungsfähigkeit in überindividueller Größenordnung und der Perspektive der Durchsetzung allgemein-menschlicher Interessen, kann sich nur auf der Basis intersubjektiver Beziehungen ausbilden, da nur hier die Entfaltung der je eigenen Handlungsmöglichkeiten in unreduzierter Weise zur Geltung kommen können.


Beitrag gedruckt von … die »Grundlegung« lesen!: https://grundlegung.de

URL zum Beitrag: https://grundlegung.de/artikel/12-4-instrumentalitaet-und-intersubjektivitaet/