14.6 Möglichkeitsverallgemeinerung
Welche Art von Verallgemeinerung ist nun im metasubjektiven Verständigungsrahmen (Kap. 14.5 [1]) möglich? Wie ist das geforderte Niveau wissenschaftlicher Metasubjektivität erreichbar? Zunächst einmal ist klar, dass »kein einziger Mensch in irgendeiner Hinsicht aufgrund der Unterscheidung von zentralen Tendenzen und Streuungen als Ausnahme von irgendetwas zu definieren« (547) sein kann, sondern »›je ich‹ in subjektwissenschaftlicher Forschung unreduziert erhalten bleiben muß« (ebd.).
Ausgangs- und Bezugspunkt ist Lebenspraxis und das sich darin konkretisierende Verhältnis von Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen mit der Perspektive der Erweiterung der Verfügung über die eigenen Bedingungen. Metasubjektivität wird dann erreicht, wenn zwischen Forschenden und Mitforschenden eine Verständigung — »quasi von Möglichkeitsraum zu Möglichkeitsraum« (548) — über Verfügungsmöglichkeiten und -behinderungen stattfindet. Die subjektiven Möglichkeitsräume stehen dabei nicht unbezogen nebeneinander, sondern sind unterschiedliche Ausschnitte gesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten.
Abb. 34: Möglichkeitsverallgemeinerung als asymptotische Annäherung eines Einzelfalls an einen Möglichkeitstyp (typischer Fall).
Die Möglichkeitsverallgemeinerung besteht nun darin, die eigenen Handlungsmöglichkeiten als Fall von typischen Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Der damit als Hypothesen formulierbare typische Möglichkeitsraum (Abk. Möglichkeitstyp, vgl. Abb. 34) verallgemeinert das jeweils eigene Verhältnis von Möglichkeiten und Behinderungen im individuellen Möglichkeitsraum. Damit wird hypothetisch erschließbar, welche Möglichkeiten erweiterter Bedingungsverfügung prinzipiell erreichbar sind. Holzkamp:
»›Verallgemeinern‹ bedeutet hier also nicht Wegabstrahieren, sondern Begreifen von Unterschieden als verschiedene Erscheinungsformen des gleichen Verhältnisses.« (549)
Das Vorgehen bei der theoretischen Verallgemeinerung kann in drei Schritten gegliedert werden:
Ob die theoretischen Verallgemeinerungen tragfähig sind oder nicht, kann sich nur in der Praxis erweisen. Im Forschungsprozess wird die Geltung und erreichte Qualität der Verallgemeinerung in einer kontrolliert-exemplarischen Praxis überprüft:
»Nur im wirklichen, praktischen Versuch der Möglichkeitsrealisierung können nämlich deren je realhistorisch gegebenen objektiven und psychischen Besonderungen und Beschränkungen an der widerständigen Realität empirisch erfahrbar werden, was gleichbedeutend ist mit der ›metasubjektiven‹ Diskutierbarkeit der speziellen Mittel, die hier zur Überwindung der Realisierungsbehinderungen etc. erfordert sind, und der Umsetzung in neue Änderungshypothesen als Anleitung des nächsten praktischen Schrittes versuchter Verfügungserweiterung etc.« (562)
Ein Beispiel für die Umsetzung eines solchen kreisförmigen, asymptotischen Annäherungsprozesses ist die im Projekt Subjektentwicklung in der frühen Kindheit formulierte Entwicklungsfigur. Ist nun ein solcher Annäherungsprozess relativ abgeschlossen, so wird damit angenommen, dass der erreichte Möglichkeitstyp
»nicht nur auf die subjektiven Möglichkeitsräume der in den Forschungsprozeß einbezogenen und an der Ausarbeitung beteiligten Betroffenen, sondern auf alle Betroffenen verallgemeinerbar ist, d. h., daß auch jedes andere Individuum unter den ausgegliederten realhistorischen Lebensbedingungen/Bedeutungskonstellationen (…) seinen subjektiven Möglichkeitsraum als einen ›Fall‹ des ›typischen Möglichkeitsraums‹ durchdringen und so die entsprechenden Selbstklärungen mit ihren praktischen Konsequenzen erreichen könnte.« (555f)
Die Grenze der Verallgemeinerung ist dort erreicht, wo die »Möglichkeiten der Erweiterung der Verfügung über gesellschaftliche Lebensbedingungen innerhalb des jeweils besonderen Möglichkeitstyps nicht mehr bestehen, sondern seine Überschreitung in manifest gesamtgesellschaftlich orientierter Praxis erfordern würden« (562).
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