13.3 Von der Verwendbarkeit zur Hergestelltheit

Auch nachdem die Kind-Erwachsenen-Beziehungen die Qualität der Sozialintentionalität gewonnen haben (vgl. Kap. 13.2 [1]), besitzen die Mittelbedeutungen für das Kind dennoch nur den Charakter von naturhaft zufälligen Verwendbarkeiten:

»…der Fotoapparat ist zur Geräuscherzeugung durch Auf-den-Fußboden-Hauen genauso geeignet wie etwa ein Bauklotz« (447f)

Das Kind kann die gesellschaftlich-allgemeine Brauchbarkeit, die den Mitteln durch verallgemeinerte Herstellung zukommen, noch nicht realisieren. Interventionen der Erwachsenen werden zwar als Intentionen verstanden, nicht jedoch aufgrund ihres Inhalts, der auf verallgemeinerte, da gesellschaftlich hergestellte Bedeutungen verweist. Holzkamp schiebt hier folgende Kritik ein:

»…das Kind benimmt sich also, wenn es die Ebene des ›sozialintentionalen‹ Signallernens noch nicht überschritten hat, tatsächlich so, wie es gemäß der traditionellen lerntheoretisch-psychoanalytischen ›Sozialisationstheorie‹ für die individuelle Vergesellschaftung des Menschen überhaupt kennzeichnend sein soll: Es ›verinnerlicht‹ die Ge- und Verbote der Erwachsenen aufgrund deren ›positiver‹ oder ›negativer Sanktionen‹ als ›Normen‹ für sein eigenes Verhalten« (447)

Auch das Erlernen von Sprache zielt zunächst nur auf eine lautlich-kommunikative Effektivierung der intentionalen Beziehungen ab, erfasst aber noch nicht die begrifflich-symbolischen Inhalte, die auf die gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen und Denkformen verweisen (vgl. Kap. 6.3 [2]).

Ansatzpunkt für die Aufhebung des Widerspruchs zwischen objektiv-allgemeiner Bedeutung der Mittel und ihrer für das Kind begrenzten Zugänglichkeit über die bloß zufällige Verwendbarkeit hinaus ist das intentionale Probieren/Beobachten als ›Machen‹ mit vergegenständlichten Resultaten (Malen, Basteln etc.). Die zu überschreitende Diskrepanz ist also die zwischen dem individuell-intentionalen Machen hin zum Erfassen des (ebenso intentionalen) Verallgemeinertem-Gemachtsein-Zu der Mittel in der Lebenswelt des Kindes.

Das Kind erfährt, dass es nicht nur einfach Dinge machen kann, sondern es lernt, dass es diese auch gezielt für Andere machen kann, so wie es erlebt, dass Andere gezielt etwas für das Kind machen. Auf diese Weise bahnen sich in der Lebenswelt des Kindes »erste soziale Verallgemeinerungen … in Richtung auf die Erfassung des verallgemeinerten Anderenetc. an, wie sie im ›Verallgemeinerten-Gemachtsein-Zu‹ verkörpert sind« (451). Das vergegenständlichte Resultat des intentional Gemachten verselbstständigt sich dabei immer mehr:

»Der qualitative Umschlag zur Bedeutungsverallgemeinerung ist dabei als Dominanz-Umschlag dann vollzogen, wenn das ›gegenständliche Resultat‹ für die Kind-Erwachsenen-Koordination bestimmend wird, und diese damit die ersten wirklich ›kooperativem Züge gewinnt.« (452)

Die Kooperation beschränkt sich dabei allerdings noch auf die unmittelbare Lebenswelt der Kind-Erwachsenen-Koordination, während zunehmend klarer wird, dass gesellschaftlich ›gemachte‹ Mittel, die in der Lebenswelt verwendet werden, von irgendwelchen anderen Menschen für bestimmte Gebrauchszwecke ›gemacht‹ wurden. Schrittweise kann nun auch die Beschränkung auf den lautlich-kommunikativen Aspekt der Sprache in dem Maße überwunden werden, wie die im Verallgemeinerten-Gemachtsein-Zu liegenden Vereindeutigungen, Abstraktionen und Verallgemeinerungen (vgl. Kap. 7.6 [3]) auch in der Lebenswelt des Kindes praktisch erfahren, gedacht und benannt werden können: Der Hammer ist dafür gemacht, Nägel einzuschlagen etc. Das Kind kann dadurch auch zunehmend »bei sich und bei anderen den ›richtigen‹, sachgemäßen, ›zweckmäßigen‹ Umgang mit den Gebrauchsdingen von dem ›falschem, unsachgemäßen, unzweckmäßigen Umgang unterscheiden« (455).

Mit der Einbeziehung des Kindes in den unmittelbaren Kooperationsrahmen verändert sich auch die Bedürfnislage:

»Antizipiert wird … jetzt die Bedürfnisbefriedigung/Lebenserfüllung ›mit der Qualität‹ der Eingebettetheit in den kooperativen Unterstützungsrahmen verallgemeinerter Bedingungsverfügung, damit des in seiner verallgemeinerten Bedeutung ›für die anderen‹ Akzeptiertseins und der darin begründeten ›menschlichen‹ Qualität der Überwindung der Angst als Isolation vom kooperativen Verfügungsrahmen, d.h. Zurückgeworfenheit auf ›rohe Befriedigung‹« (454)

Der unmittelbare Kooperationsrahmen markiert gleichzeitig auch die Grenzen des Entwicklungszuges der Bedeutungsverallgemeinerung. Zwar ist für das Kind prinzipiell denkbar geworden, dass die Dinge von Anderen für bestimmte Gebrauchszwecke gemacht wurden, die realen Herstellprozesse sind jedoch nicht faßbar:

»Es kann zwar jetzt verstehen, was gemeint ist, wenn ›Gemachtsein-Zu‹ signalisiert wird, ist aber … im Hinblick auf den Inhalt der als Brauchbarkeiten durchgesetzten Verwendbarkeiten in diesem Punkt dem unfaßbaren ›Mehrwissen‹, damit der ›Willkür‹ der Erwachsenen noch nicht entkommen. Der damit bezeichnete Widerspruch verweist auf die Unabgeschlossenheit des Entwicklungszugs der Bedeutungsverallgemeinerung als ›entwicklungslogischem‹ Vorläufer des Prozesses der ›Unmittelbarkeitsüberschreitung‹ …« (456f),

womit die Widerspruchskonstellation in Richtung auf den nächsten Entwicklungszug benannt ist. Zuvor müssen die bislang entwickelten allgemeinen Dimensionen auf die historisch-besondere und nach Lebenslage und Position zu differenzierende Situation im Kapitalismus hin konkretisiert werden.


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[1] Kap. 13.2: http://grundlegung.de/artikel/13-2-vom-sozialen-signallernen-zur-sozialintentionalitaet/

[2] Kap. 6.3: http://grundlegung.de/artikel/6-3-entstehung-der-sprache-aus-praktischen-begriffen/

[3] Kap. 7.6: http://grundlegung.de/artikel/7-6-denken-von-handlungszusammenhaengen/