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Kritische Psychologie. Kategoriale Grundlagen marxistischer Subjektwissenschaft

Stefan Meretz

Erschienen in: Heseler, D., Iltzsche, R., Rojon, O., Rüppel, J., & Uhlig, T. D. (2017), Perspektiven kritischer Psychologie und qualitativer Forschung. Zur Unberechenbarkeit des Subjekts, Wiesbaden: Springer.

Das Projekt der Kritischen Psychologie entstand im Ausgang der 1968er Studierendenbewegung als Reaktion auf die verbreitete Stimmung, die bürgerlich-repressive Psychologie kurzerhand „zerschlagen“ zu wollen (s. Mattes in diesem Band). Stattdessen sollte gezeigt werden, dass es möglich sein kann, eine Psychologie in der Hand der Betroffenen, eine „Psychologie für je mich“ zu schaffen. Der Weg konnte jedoch nicht sein, die impliziten und expliziten Ziele der Mainstream-Psychologie – Befriedung und Kontrolle – schlicht durch emanzipatorische auszutauschen, sondern es wurde schnell klar, dass ein eigenes wissenschaftliches Fundament geschaffen werden musste. Die vorgefundenen Methoden und Kategorien waren untauglich – das unterscheidet die Situation in den 1970ern von der heutigen.[1]

Ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Kritische Psychologie war die Psychoanalyse, ist der Gegenstand der Psychoanalyse doch die unmittelbare Erfahrung individuellen Seins. Sie analysiert die individuelle Erfahrung auf in ihr verborgene gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse wie sie sich in der all täglichen Lebenslage zeigen. Als psychologische Wissenschaft vom Individuum sind die subjektiven Befindlichkeiten des Menschen, seine Schuldgefühle, Gebrochenheiten und Verletzlichkeiten Ausgangs- und Bezugspunkt begrifflicher||80| Verallgemeinerungen – anstatt diese wie in der Mainstream-Psychologie auf die Objektseite zu verschieben und nur als Resultat von Bedingungen zu verstehen. Die Bedeutung der Psychoanalyse liegt im subjektwissenschaftlichen Niveau des Fragens und Forschens. Die Grenzen der freudschen Konzeption finden sich in der angenommenen grundsätzlichen Unvereinbarkeit subjektiver Lebensansprüche mit gesellschaftlichen Anforderungen. Restriktive Verhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft werden unzulässig als genuin menschliche universalisiert, was sich theoretisch etwa in der Annahme einer unveränderbaren ungesellschaftlichen Triebstruktur des Menschen manifestiert. Die in verkürzten Begriffen ausgedrückten Konflikte im individuellen Erleben sind gleichwohl auf der Grundlage einer ausgewiesenen kategorialen Grundlage zu erhalten und der praktischen Bearbeitung zugänglich zu machen. Das ist der Grund, warum die Kritische Psychologie die Psychoanalyse zu beerben beansprucht, diese aber nicht sein kann.[2]

Eine zentrale und für die weitere theoretische Entwicklung maßgebliche Einsicht war die der Gemachtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse. Menschen stellen die Lebensbedingungen, unter denen sie leben, selbst her. Erscheinen ihnen diese Lebensbedingungen, obwohl von ihnen gemacht, dennoch als fremde, wirft das Fragen nach den gesellschaftlichen Verhältnissen auf, die Menschen in ihrem subjektiven Erleben von „ihrer“ Welt trennen. Will man jene Trennung und Entfremdung nicht naturalisieren und etwa zur Eigenschaft von „Risikogesellschaften“ (Beck 1986) erklären, so sind gesellschaftstheoretische Erkenntnisse über die kapitalistische Wirklichkeit unerlässlich. Die Kritische Psychologie bezog sich dabei auf den Marxismus jener Strömungen, die sich an den Ländern des Realsozialismus orientierten. Neben anderen Gründen führte diese Orientierung in der breiten Strömung diverser kritischer Ansätze zur Ausdifferenzierung und letztlich zu dem, was sich auch heute noch an der kleinen Unterscheidung der Schreibweise der kritischen oder Kritischen Psychologie festmacht. Auch wenn etwa das gesellschaftstheoretische Fundament innerhalb der Kritischen Psychologie immer in der Diskussion blieb und notwendig bleiben muss, so besteht doch||81| der paradigmatische Anspruch, einen konsistenten, offen gelegten und somit kritisierbaren Vorschlag für ein kategoriales Fundament der Psychologie vorgelegt zu haben. Kritische Psychologie analysiert also nicht nur kritikwürdige Theorien, sondern reinterpretiert diese und entwickelt sie weiter. Die Kritische Psychologie gibt ihren Wahrheitsanspruch nicht auf, was sie heute besonders streitbar macht.

Aus der zentralen Einsicht, dass die Menschen ihre Verhältnisse nicht nur vorfinden, sondern selbst schaffen, folgt die wesentliche Kritik an der experimentell orientierten Mainstream-Psychologie. Diese unterwirft Individuen im Experiment Bedingungen, die die Versuchspersonen weder geschaffen haben, noch beeinflussen können (oder wenigstens sollen), die also Menschen auf geschichtslose Quasi-Organismen reduziert, die durch die vorgesetzten Bedingungen vollständig determiniert sind.[3] Wirkliche gesellschaftliche Lebensverhältnisse, zu denen und in denen sich Menschen alltäglich verhalten, schrumpfen so zu aus der Geschichte gefallenen bloßen „Umwelten“. Das auf diese Weise theoretisch konstruierte abstrakt-isolierte Individuum entspricht nun aber in gewisser Weise den gesellschaftlichen Verhältnissen im real existierenden Kapitalismus, in denen die meisten Menschen von der Verfügung über die Schaffung der relevanten Lebensbedingungen weitgehend ausgeschlossen sind und sich als voneinander getrennte konkurrierende Warensubjekte begegnen. Das vorgebliche konkrete einzelne Individuum wird im Experiment von der konkreten historisch (von ihm mit-)geschaffenen gesellschaftlichen Lebenslage getrennt und damit tatsächlich als Abstraktum behandelt.%monthnum%/%day%/Aus der zentralen Einsicht, dass die Menschen ihre Verhältnisse nicht nur vorfinden, sondern selbst schaffen, folgt die wesentliche Kritik an der experimentell orientierten Mainstream-Psychologie. Diese unterwirft Individuen im Experiment Bedingungen, die die Versuchspersonen weder geschaffen haben, noch beeinflussen können (oder wenigstens sollen), die also Menschen auf geschichtslose Quasi-Organismen reduziert, die durch die vorgesetzten Bedingungen vollständig determiniert sind.[3] Wirkliche gesellschaftliche Lebensverhältnisse, zu denen und in denen sich Menschen alltäglich verhalten, schrumpfen so zu aus der Geschichte gefallenen bloßen „Umwelten“. Das auf diese Weise theoretisch konstruierte abstrakt-isolierte Individuum entspricht nun aber in gewisser Weise den gesellschaftlichen Verhältnissen im real existierenden Kapitalismus, in denen die meisten Menschen von der Verfügung über die Schaffung der relevanten Lebensbedingungen weitgehend ausgeschlossen sind und sich als voneinander getrennte konkurrierende Warensubjekte begegnen. Das vorgebliche konkrete einzelne Individuum wird im Experiment von der konkreten historisch (von ihm mit-)geschaffenen gesellschaftlichen Lebenslage getrennt und damit tatsächlich als Abstraktum behandelt.

Gleichzeitig – und das wäre die komplementäre Vereinseitigung – kann es auch nicht darum gehen, individuelles Erleben als „Effekt“ der gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus herunter zu „konkretisieren“. Dies würde jenes schier unumstößliche Theorem der traditionellen Psychologie, wonach menschliches Verhalten bloß Resultat der Bedingungen ist, mit „marxistischem“ Vorzeichen reproduzieren. Diese Annahme ist nicht so lächerlich wie sie vielleicht klingt, verfuhr doch der Staat gewordene traditionelle Marxismus in „seiner“ Psychologie theoretisch letztlich genauso: Sozialismus heißt gute Bedingungen, jetzt sollen die Menschen mal ordentlich losarbeiten. Warum nur taten sie es aber nicht? Darauf gab und gibt es unterschiedliche Antworten – dass hier die marxistische Grundlage faul sein könnte, kam fast niemandem in den Sinn.||82|

Wie nun aber Individuum und Gesellschaft so zusammen denken, dass keine der beiden Seiten begrifflich unter den Tisch fällt? Die Antwort ist so überraschend wie gleichzeitig schwer zu denken: Die Tatsache, dass Individuum und Gesellschaft konzeptuell auseinander fallen können, ist selbst Artefakt der bürgerlichen Denkformen in einer Gesellschaft, die jene Trennung und Fremdheit erzeugt, die im Denken als Separation abgebildet wird. Tatsächlich werden das isolierte Individuum und die anonyme Gesellschaft „da draußen“ zwar real erlebt, sind aber dennoch nur gedankliche Abstraktion dessen, was identisch ist: Individuum und Gesellschaft sind nur zwei Seiten des gleichen Verhältnisses, von gesellschaftlichem Menschen und menschlicher Gesellschaft. Hierbei muss man sich klarmachen, dass Gesellschaft keine unmittelbar sinnlich-erfahrbare Entität darstellt, sondern sich als Begriff nur in unseren Köpfen konstituiert und konstituieren muss. Gesellschaft kann ich nicht anfassen, aber ihre Wirkungen sehr wohl erfahren – jeden Tag –, denn die Gesellschaft ist der stofflich-soziale Vermittlungsraum, in dem und vermittels dessen ich meine individuelle Existenz reproduziere. Ich komme darauf zurück.

1 Kategorien

In der Kritischen Psychologie werden Grundbegriffe, die Kategorien, nicht definiert, sondern entwickelt. Definitionen grenzen Inhalte voneinander ab, die Inhalte werden dabei implizit als bekannt vorausgesetzt. Wird nicht offengelegt, nach welchem Verfahren die Inhalte gewonnen wurden, stehen verschiedene Definitionen unentscheidbar und prinzipiell gleichwertig nebeneinander. Es ist damit nicht bestimmbar, was vom eigentlich zu untersuchenden Gegenstand überhaupt erfasst werden kann. Ebenso ist nicht entscheidbar, ob die auf dieser Grundlage erdachten experimentellen Operationalisierungen überhaupt dem Gegenstand angemessen sind.

Die Kritische Psychologie nimmt die traditionellen psychologischen Begriffe daher als Vorbegriffe, an denen etwas erscheint, das in einem wissenschaftlichen Verfahren jedoch erst aufzuklären ist. Zentraler Zugang ist dabei, die historische Gewordenheit des an den Vorbegriffen Erscheinenden zu rekonstruieren. Man versteht, wie etwas ist, wenn man versteht, wie es geworden ist. So wie Menschen und Gesellschaften historische Produkte sind, so müssen auch die Begriffe die wesentlichen Züge der historischen Entwicklung tragen. Auf diese Weise ist es möglich zu begreifen, dass die Gesellschaftlichkeit des Menschen tatsächlich eine Naturgrundlage besitzt, deren besondere Erscheinungsweise von der konkret-historischen gesellschaftlichen Form abhängt, in der sie realisiert wird. Damit liegen||83| dann auch Kriterien vor, an denen empirische Methoden in ihrer Angemessenheit für den Gegenstand eingeschätzt und entwickelt werden können.

Die kritisch-psychologischen Kategorien werden in einem explizit angegebenen historisch-empirischen Vorgehen entwickelt. Ausgehend von den einfachsten Erscheinungsformen des Psychischen werden sie im historisch rekonstruierenden Nachvollzug immer differenzierter, reichhaltiger und inhaltsvoller. Dies vermeidet essenzialistische Definitionen, führt aber auch dazu, dass in überblicksartigen Darstellungen (wie der vorliegenden) der Reichtum der Kategorien notwendig verarmt. Es sei dennoch versucht. Ausgangspunkt der historischen Analyse ist die Bestimmung des Psychischen als interne Widerspiegelung der aktiven Auseinandersetzung des Organismus mit seiner Umwelt. Mit den Begriffen Bedeutung, Bedarf (später Bedürfnisse) und Emotionalität, dann Motivation und Lernfähigkeit will ich beginnen.

Bereits beim Begriff der Bedeutung bricht das traditionelle Verständnis, das die jeweilige Bedeutung der Sache als solcher zuordnet. Für Organismen einfacher Gestalt jedoch existieren Umweltbegebenheiten nicht „als solche“, sondern nur in ihrer Art- und Zustandsrelevanz. Artrelevanz heißt, dass Umweltentitäten für Aktivitäten nur dann genutzt werden (können), wenn sie (genomisch gespeichert) eine Rolle für die Erhaltung der Art spielen. Ein Umweltding, das für die Arterhaltung keine Relevanz besitzt, „existiert“ für die Art auch nicht. Zustandsrelevanz bedeutet, dass potenziell artrelevante Umweltgegebenheiten aktuell unterschiedliche Wertungen erfahren können. Ein potenzielles Beutetier hat für den satten Jäger keine Relevanz. Die Wertungen sind die emotionale Widerspiegelung der in der Orientierung realisierten Umweltbedingungen (zu denen bei höheren Tieren auch die sozialen Artgenossen gehören) sowie des eigenen organismischen Zustands.

Noch einmal anders formuliert: Bedeutung ist ein Verhältnisbegriff, der die dynamische Beziehung des aktiven Organismus zu seiner Umwelt fasst, bei der interne wie externe wahrgenommene Gegebenheiten am Maßstab des eigenen Zustands so gewertet werden, dass am Ende eine Aktivität möglich ist. Schon auf diesem einfachen Entwicklungsniveau wird die Relevanz der Emotionen als objektiver Widerspiegelung der Umwelt, wie sie dem Organismus zugänglich ist, deutlich. Ich komme darauf zurück.

Damit sind implizit zwei weitere Begriffe eingeführt worden: Bedarf und Emotionalität. Als Bedarf wird der organismische Zustand bezeichnet, der als Maßstab der emotionalen Wertung dient, die der Aktivität vorgeschaltet ist. Warum ist hier die Emotionalität als Vermittlungsinstanz zwischen der bedeutsamen Umwelt und der Aktivität geschaltet? Der Bedarf könnte doch auch beim Auftreten einer entsprechenden Bedeutung „direkt“ die Aktivität auslösen. Doch||84| so schlicht sind selbst einfache Organismen nicht gestrickt. Erstens setzt die kurz geschlossene Bedeutungs-Bedarfs-Aktivität den Organismus Umweltgefahren aus. Trotz vorhandener Bedeutung und entsprechendem Bedarf kann es notwendig sein, die Aktivität gerade nicht auszuführen, weil andere Bedeutungen (z. B. ein Fressfeind) dagegen sprechen. So ist es die Aufgabe der Emotionalität, zweitens, divergierende und widersprüchliche kognizierte Umweltzustände so zu einer einheitlichen Gesamtwertung zusammenzufassen, dass am Ende die – im Sinne des Überlebens des Organismus und damit der Art – optimale Aktivität des Organismus erfolgt. Wichtig ist es sich klar zu machen, dass auf dem diskutierten Entwicklungsniveau die Aktivitäten der Organismen vollständig determiniert erfolgen. Nur steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit beträchtlich, wenn in dem grundsätzlich determinierten Zusammenhang von Organismus und Umwelt die Emotionalität als eine weitere Instanz „eingebaut“ ist, die eine weit differenziertere Nutzung von Umweltsignalen ermöglicht.

Für die Erhaltung der Art würde es ausreichen, wenn sich Organismen physisch erhalten und fortpflanzen. Zur Erhöhung der Überlebenswahrscheinlichkeit der Art müssen die direkt auf die Arterhaltung gerichteten Aktivitäten durch weitere Umfeldaktivitäten abgesichert werden. Die absichernden und später herstellenden Aktivitäten, die sich rund um das Fressen und Fortpflanzen gruppieren, werden in der Evolution immer bedeutsamer. Der evolutionäre Prozess auf dem Weg zur Herausbildung des Menschen kann somit als Entstehung einer immer größeren Vermittlungsdistanz zwischen Umwelt und der Existenzerhaltung von Art und Individuen begriffen werden. Mit dem Psychischen kommt dieser stets komplexer werdende Vermittlungszusammenhang als durch Signale vermittelte Lebenstätigkeit auf seinen Begriff. In der Folge wird es darum gehen, weitere Vermittlungsinstanzen kennenzulernen.

Zusammengefasst: Die Emotionalität vermittelt zwischen Orientierung und Aktivität bzw. für Menschen zwischen Wahrnehmung und Handlung. Alles muss durch die emotionale Wertung hindurch, bevor es zu einer Aktivität bzw. Handlung kommt.[4] Die Emotionalität besitzt somit eine orientierungsleitende Funktion. Die Wertung darf dabei auf subhumanem Niveau nicht als „Wahl“ vermenschlicht werden. Bevor es zur Herausbildung einer erkennenden Distanz und damit der Möglichkeit einer „Wahl“ kommt, sind weitere Entwicklungsschritte erforderlich.||85|

2 Lernfähigkeit

Genomisch festgelegte, nicht lernfähige Organismen sind trotz emotional vermittelter differenzierter Nutzung von Signalen Umweltveränderungen weitgehend ungeschützt ausgeliefert. Die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöht sich beträchtlich, wenn die Organismen die artspezifischen Bedeutungs-Aktivitäts-Zusammenhänge erst während ihrer Lebenszeit erwerben, sie also lernen, um sich so an veränderte Umwelten anzupassen. Art und Reichweite der Lernfähigkeit variieren über die Arten hinweg beträchtlich. Dabei ist die Lernfähigkeit nicht im Gegensatz, sondern als Verhältnis zur Festgelegtheit zu begreifen. Während bei der subsidiären Lernfähigkeit die genomisch festgelegten Aktivitäten nur im begrenzten Rahmen durch Lernen modifizierbar sind, werden bei der autarken Lernfähigkeit die Bedeutungen und Aktivitäten selbst gelernt. Neben dem evolutionären, genomisch verankerten Artgedächtnis entsteht so ein Individualgedächtnis, in dem die individuellen Lernerfahrungen gespeichert werden.

Mit dem autarken Lernen sind nun auch sachliche und zeitliche Relationen verschiedener Aktivitäten („wenn x, dann y“ und „auf a folgt b“) erlernbar. Auf diese Weise können Orientierungsaktivitäten im Vorfeld mit den „eigentlichen“ Erhaltungs- oder Fortpflanzungsaktivitäten am Ende zu Sequenzen kombiniert werden („erst anschleichen, dann Beutetier erlegen, dann fressen“). Dabei kann bereits bei den orientierenden Vorfeldaktivitäten die Befriedigung nach erfolgter Endaktivität (im Sinne der Arterhaltung) antizipiert, das heißt emotional vorweggenommen werden. Die sich damit herausbildende Motivation ist also eine bestimmte Form emotionaler Bewertung von zukünftigen Ereignissen in der Gegenwart. Die Motivation als gelernte Wertungsantizipation ist wiederum nicht mit einer „Einsicht“ in den sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zu verwechseln, sondern als emotional gesteuerte faktische Vorwegnahme zu verstehen, mit dem die Relation von Gegenwärtigem und Zukünftigem gleichsam automatisch hergestellt wird.

Umweltgegebenheiten sind somit nun nicht mehr fixe Aktivitätsauslöser, sondern Aktivitätsanreger. Die Diskrepanz zwischen schon Gelerntem und Neuem drängt permanent dazu, aufgehoben zu werden. Die emotionale Regulation schwankt jedoch zwischen Energiemobilisierung und Angstbereitschaft, da unklar ist, ob die Diskrepanz tatsächlich vermindert oder zur Gefahr werden kann. Hinzu kommt die Jugendphase, in der die lernenden Jungtiere noch nicht über die artrelevanten Aktivitäten verfügen. Sozialverbände übernehmen hierbei die Funktion der Kompensation der Nachteile von Unsicherheit und Offenheit des lernenden Individuums. Für das Individuum wird die Eingebundenheit in den Sozialverband zur entscheidenden Voraussetzung seiner Existenzsicherung, was durch einen||86| entsprechenden Bedarf nach sozialer Absicherung emotional reguliert wird. Dem Erlernen sozialer Bedeutungen, Aktivitäten und Kommunikationsformen kommt für die Einfindung in den Sozialverband eine wichtige Rolle zu.

3 Übergang zum gesellschaftlichen Menschen

Die aufrecht gehenden zweibeinigen Homininen nutzen ihre Hände zur gezielten Herrichtung von Mitteln. Sachliche und zeitliche Relationen werden nun nicht mehr nur erfasst, sondern gezielt hergestellt. Aktivitätssequenzen erstrecken sich dabei über mehrere Artgenoss*innen, die sich wechselseitig als soziale Werkzeuge einsetzen. Einzelaktivitäten ergeben ihren Sinn nur mehr als Bestandteile der kollektiven Aktivität. So ist das „Vertreiben“ von Wild im biotischen Sinne unfunktional, ist aber dann motiviert verfolgbar, wenn die „Treiber*innen“ antizipieren können, dass sie an dem von den „Jägern*innen“ erbeuteten Wild teilhaben werden. Der individuelle Bedarf richtet sich nun darauf, dass die kollektiven Aktivitäten erfolgreich durchgeführt werden können. Primäre Bedarfsspannungen wie Hunger sind dabei immer weniger Auslöser für die kollektiven Aktivitäten. Emotional reguliert durch die soziale Motivation haben die kollektiven Aktivitäten stattdessen die Funktion, das Auftreten akuter Mangelsituationen vorsorgend zu verhindern.

Zu einem qualitativen Sprung in der Entwicklung kommt es, indem Mittel nicht mehr für den aktuellen Fall des Gebrauchs hergestellt werden, sondern unabhängig davon für den unbestimmten Fall, dass sie einmal gebraucht werden könnten. Führte vorher der aktuelle Zweck zur Herstellung des Mittels, so wird das Mittel nun hergestellt, bevor sein Einsatzzweck auftritt. Das Verhältnis von Zweck und Mittel hat sich umgedreht. Die präventiv hergestellten Werkzeuge stehen nun generalisiert den Mitgliedern des Sozialverbandes für den Fall ihrer Nutzung zur Verfügung. Diese Form der sozial verallgemeinerten Herstellung verleiht den Mitteln ihre verallgemeinerte soziale Bedeutung.[5] Damit werden die Lebensbedingungen und -bedeutungen nicht mehr nur vorgefunden, sondern in kollektiver Vorsorge geschaffen. Entsprechend ändern sich auch die Bedürfnisse, wie die Bedarfe nun auf vormenschlichem Niveau genannt werden. Nicht mehr die Abwendung akuten Mangels oder von Bedrohungen ist befriedigend, sondern||87| die individuelle Beteiligung an der allgemeinen Vorsorge zur Schaffung eines Zustands der Sicherheit vor dem Eintreten solcher Akut-Situationen.

Mit zunehmendem Grad der Herstellung der Lebensbedingungen entsteht aus den notwendigen Verweisungsstrukturen im Prozess der Herstellung wie auch Nutzung der Mittel ein Bedeutungsnetzwerk. Die Mittel sind in verallgemeinerter Weise dazu gemacht, bestimmte Zwecke zu erreichen („Das Mittel x ist dazu da, y herzustellen/zu nutzen“). Sie repräsentieren die (auch symbolisch) vergegenständlichten Notwendigkeiten verallgemeinerter Vorsorge und werden kooperative bzw. im Übergang zum Menschen gesellschaftliche Zielkonstellationen genannt. In den kooperativen bzw. dann gesellschaftlichen Zielen ist festgelegt, was getan werden muss, damit sich die Kooperation bzw. dann die Gesellschaft erhalten kann. Die individuellen Handlungen sind damit nur mehr Teilziele der überindividuell-kooperativen bzw. gesellschaftlichen Gesamtziele.

An dieser Stelle wird das vorher hervorgehobene kritisch-psychologische Bedeutungskonzept deutlich. Bedeutungen sind nicht etwas von den Menschen getrenntes, sind nicht etwas, das entweder ganz auf der „Weltseite“ liegt – etwa als stoffliche Eigenschaften der Dinge – oder ganz auf der Seite der Individuen – etwa als im individuellen Gehirn „konstruierte“, individuell zugeschriebene Relevanzen. Der Begriff der Bedeutung erfasst die Welt- und die Individuumsseite als Vermittlungszusammenhang zwischen beidem. Mit der Zweck-Mittel-Umkehrung werden die Bedeutungen nicht mehr bloß vorgefunden, sondern als Vergegenständlichung intendierter Zwecke als Gegenstandsbedeutungen hergestellt. Mit der Sprache kommen die Symbolbedeutungen hinzu. Gegenständliche und symbolische Bedeutungen bilden ein Verweisungsnetzwerk und werden schließlich zu kooperativen bzw. gesamtgesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen, die die Zielkonstellationen repräsentieren, synthetisiert. Dieses Netzwerk ist ein gesellschaftlicher Speicher, es bildet zusammen mit dem physiologischen Speicher, dem Gehirn der Individuen, eine übergreifende Funktionseinheit. Damit wird klar, dass weder eine einzelne „Bedeutung“ noch ein einzelnes „Gehirn“ bloß aufgrund der physischen oder physiologischen Beschaffenheit aus sich heraus verständlich sein kann. Eine Neuropsychologie, die danach sucht, ist auf dem Holzweg.

Ein weiterer wichtiger Schritt der Menschwerdung ist die Herausbildung des Denkens. Das Denken entwickelt sich aus dem autarken Lernen von Antizipationen sachlicher und zeitlicher Relationen. Mit dem Prüfen und dem Beobachten der Effekte eigener Probieraktivitäten werden diese gezielt herbeigeführt, die dann im Gedächtnis gespeichert werden. Im Wechselspiel zwischen der inneren antizipierenden Hypothesenbildung und ihrer praktischen Verifikation durch Beobachtung entfaltet sich das Denken. Die Herausbildung des Denkens setzt kein Bewusstsein voraus, sondern bildet umgekehrt die Voraussetzung für die||88| Entstehung des Bewusstseins. Die vorbewusste Regulation der gedanklichen und praktischen Antizipationen erfolgt durch die emotionalen Antizipationen, also motivational gesteuert. Die Motivation ist somit die emotionale Seite der Herausbildung des Denkens.

Die soziale Motivation bezog antizipierbare Bewertungen zukünftiger Ergebnisse bereits auf Resultate kollektiver Aktivitäten. Im Zuge der Menschwerdung dehnt sich der Bezugsrahmen der Motivation auf die kooperativen und dann gesellschaftlichen Zielkonstellationen aus. Motiviert ist eine Aktivität dann, wenn die individuelle Existenz als Teil der allgemeinen Vorsorge gesichert und damit eine höhere Qualität der Bedürfnisbefriedigung antizipiert werden kann. Die individuelle Motivation ist davon abhängig, inwieweit der Beitrag zur gesellschaftlichen Vorsorge und die eigene Existenzsicherung tatsächlich zusammenhängen, dieser Zusammenhang in den gesellschaftlichen Denkformen repräsentiert ist und er vom Individuum kognitiv erfasst werden kann. Zu einem Motivationswiderspruch kommt es nun dann, wenn einer positiven Bewertung der antizipierten zukünftigen Lebensqualität negativ bewertete Anstrengungen und Risiken auf dem Weg dorthin entgegenstehen – oder auch umgekehrt.

Die bisherigen Ausführungen bezogen sich immer noch auf die Entwicklung unter Dominanz der Evolution. In dieser Übergangsperiode erweist sich die entstandene gesellschaftliche Natur des Menschen, also die biotische Fähigkeit zur individuellen Vergesellschaftung und Teilhabe an der gesellschaftlichen Herstellung der Lebensbedingungen, als entscheidender Selektionsvorteil. Die einsetzende und im Vergleich zur Evolution um Größenordnungen schnellere gesellschaftlich-historische Entwicklung hebt schließlich die Phylogenese als Entwicklungsprinzip auf.

4 Unmittelbarkeitsdurchbrechung

Damit wird auch der unmittelbare Zusammenhang von kooperativer Produktion und individueller Nutzung durchbrochen.[6] Das Mensch-Welt-Verhältnis kann von nun an nur mehr in Termini der Vermittlung von zwei Momenten der inneren||89| Einheit von gesellschaftlichem Menschen und menschlicher Gesellschaft begriffen werden. Die gesellschaftlichen Menschen sind gleichzeitig die menschliche Gesellschaft, vermittels derer sie leben, indem sie ihre Lebensbedingungen und damit sich selbst herstellen. Die Gesellschaftlichkeit ist somit Ausgangspunkt und Ergebnis des gleichen Prozesses. Die Aufgabe der kritisch-psychologischen Vermittlungsbegriffe ist es nun, diesen inneren Zusammenhang in Bezug auf die psychischen Dimensionen begreifbar zu machen. Dies ist nur dann zu leisten, wenn keine der vermittelten Seiten im Zuge der Konkretisierung der analytischen Begriffe unter den Tisch fällt.

Mit der Unmittelbarkeitsdurchbrechung wird das Determinationsverhältnis von Bedeutungen und Aktivitäten aufgehoben. Die gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen repräsentieren zwar, was durchschnittlich getan werden muss, aber individuell als Handlungsmöglichkeiten nur, was getan werden kann. Auch Beschränkungen der Handlungsmöglichkeiten – welcher Art auch immer (Unterdrückung, Manipulation etc.) – ändern nichts an der grundsätzlichen Freiheits- und Möglichkeitsbeziehung zur Realität. Die Möglichkeitsbeziehung ist doppelt bestimmt. Die individuellen Handlungsmöglichkeiten lassen sich einteilen in solche Handlungen, die die vorausgesetzten Bedingungen hinnehmen, und solche, die darauf abzielen, die Bedingungen des Handelns zu verändern. Unter Herrschaftsverhältnissen führt die doppelte Möglichkeit allerdings zu dem Widerspruch, sich entweder durch Akzeptanz der bestehenden Bedingungen um eine verbesserte Lebensqualität zu bringen oder durch Versuche der Erweiterung von Möglichkeiten Konflikte zu riskieren (siehe unten).

Als personale Handlungsfähigkeit wird die Verfügung des Individuums über seine Lebensbedingungen durch Teilhabe an der gesellschaftlichen Vorsorge bezeichnet. Die Verfügungsmöglichkeit ist dem Individuum jedoch nicht unmittelbar, sondern durch die reale Lebenslage vielfältig vermittelt und gebrochen gegeben. Analysen der kapitalistischen Verfasstheit der gesellschaftlichen Vermittlung und ihren Erscheinungsformen in der personalen Lebenslage sind folglich unabdingbar, um das widersprüchliche Verhältnis von Möglichkeiten und Beschränkungen verstehen zu können.

Das Handeln der Individuen ist weder beliebiges Resultat subjektiv-willkürlicher Sinnstiftung des vom gesellschaftlichen Zusammenhang getrennt gedachten Individuums noch determinierender objektiv-auslösender Faktoren der ebenfalls als vom Individuum getrennt gedachten Umwelt. Auch das inhaltlich unverbundene Nebeneinanderstellen von beiden Polen – subjektives Erleben hier und objektive Bedingungen dort – ermäßigt das Problem nicht. Der neue Vermittlungsbegriff zur inhaltlichen Fassung des Verhältnisses von objektiven Bedingungen und ihrer subjektiven Realisierung ist der der Handlungsgründe oder kurz:||90| Gründe. Dabei stehen sich Bedingungen und Gründe nicht äußerlich gegenüber, sondern die gesellschaftlichen Bedeutungs-, Handlungs- und Denkstrukturen bilden das Medium, in dem das Individuum seine Handlungsgründe hat.

Bewusstsein wird in diesem Kontext als die erkennende Welt- und Selbstbeziehung gefasst. Die Individuen sind nicht mehr in ihrer unmittelbaren Lebenserhaltung befangen, sondern können sich in eine bewusste, reflektierende Distanz zur Welt und sich selbst begeben. Sie sind damit grundsätzlich in der Lage, den Zusammenhang zwischen individueller Existenz und gesellschaftlichem Prozess zu erfassen. Das bewusste Verhalten zu den Umständen und zu mir selbst[7] ist dabei immer erster Person, es ist „je mein“ Verhalten. Der andere ist ein Subjekt wie ich, mit von mir unterschiedenen Absichten und Handlungsmöglichkeiten. Die reziprok-reflexive Verschränkung der je individuellen Perspektiven kennzeichnet die menschliche Intersubjektivität.[8]

Die Möglichkeitsbeziehung und erkennende Distanz beziehen sich nicht nur auf die Welt, sondern auch auf mich selbst mit meinen Bedürfnissen in dieser Welt. Die Bedürfnisse werden doppelt gefasst: Sinnlich-vitale Bedürfnisse richten sich direkt auf die Erhaltung der eigenen Existenz und der Gattung (Nahrung, Sexualität), während sich die produktiven Bedürfnisse auf die Teilhabe an der gesellschaftlich-vorsorgenden Absicherung der sinnlich-vitalen Bedürfnisbefriedigung beziehen. Damit hängt die Qualität der sinnlich-vitalen Bedürfnisbefriedigung von der Befriedigung der produktiven Bedürfnisse ab. Das Individuum muss nach der Unmittelbarkeitsdurchbrechung auftretende Bedürfnisse nicht unmittelbar befriedigen, sondern kann sich zu diesen bewusst verhalten, sie aufschieben, priorisieren, umstrukturieren und auch um langfristigerer Ziele willen bewusst vernachlässigen. Die fremd bestimmte Unterdrückung von Bedürfnissen erhält ihre menschliche Spezifik und damit Unmenschlichkeit dadurch, dass nicht nur||91| die Bedürfnisbefriedigung als solche verwehrt bleibt, sondern auch die Möglichkeit des bewussten Verhaltens zu den eigenen Bedürfnissen abgeschnitten wird.[9]

Für das Denken bedeutet die Möglichkeitsbeziehung, dass die gesellschaftlichen Denkformen für das Individuum nur Denkmöglichkeiten darstellen, zu denen es sich bewusst verhalten kann. Dies bedeutet allerdings auch, dass es im Sinne der gesellschaftlichen Reproduktion notwendige Denkzusammenhänge nicht denken muss, sondern diese auch nur verkürzt, gebrochen oder partiell zur Kenntnis nehmen kann. Als Wertungs- und Mittlerfunktion kann nun die Emotionalität gezielt als Mittel des Denkens eingesetzt werden. Emotionen und Denken sind also nicht getrennt, sondern wechselseitig aufeinander bezogen und durchdrungen.

Auch die Motivation ist unter den Bedingungen der Möglichkeitsbeziehung nicht mehr selbstevident wie noch auf subhumanem Niveau. Die Motivationsbedingungen – Zusammenhang des Beitrags zur gesellschaftlichen Vorsorge mit eigener Existenzsicherung und ihrer gesellschaftlichen wie individuellen Denkbarkeit – müssen nun nicht mehr gegeben sein. Zusammenhänge können real fehlen und nur ideologisch vorgetäuscht sein, das Individuum kann einem Schein aufsitzen etc. Trotzdem kann es zu Handlungen kommen. Diese erfolgen jedoch nicht motiviert, sondern unter Zwang. Damit verändert sich auch der Motivationswiderspruch zwischen zukünftiger Lebensqualität und Risiken auf dem Weg dorthin. Unter Zwang können die Anstrengungen/Risiken nun auf sich genommen werden, obwohl diese emotional nicht gedeckt sind, also keine verbesserte Lebensqualität versprechen.[10] Was bei motiviertem Handeln ein Aufschub unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung zugunsten besserer Möglichkeiten in der Zukunft ist, verselbstständigt sich bei erzwungenem Handeln als Selbstdisziplinierung und Druckausübung gegen sich selbst. Dabei sind Zwang und motivierter Bedürfnisaufschub oft nicht klar voneinander zu trennen, da die emotionale Widerspiegelung des Motivationswiderspruchs nicht eindeutig ist, sondern reflektierend aufgeklärt werden muss, um so die Emotionen als Erkenntnisquelle zu nutzen (siehe unten).||92|

Bei gesicherter Handlungsfähigkeit in einer freien Gesellschaft hingegen hat das Individuum selten Grund, die eigene Motivationslage zu thematisieren oder problematisieren, da hier die drei Motivationsbedingungen grundsätzlich gegeben sind. Das Individuum kann den Zusammenhang von gesellschaftlichen Zielkonstellationen und der eigenen vorsorgenden Existenzsicherung einschließlich ihrer gesellschaftlichen Denkbarkeit erfassen, muss es aber nicht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit alle Handlungen mit Schwung und Energie ausgeführt werden, sondern gerade das ist nicht notwendig, weil die eigene Existenz und menschliche Bedürfnisbefriedigung auch dann real gesichert ist, wenn ich aktuell nichts tue. Wann ich was mit welcher Energie tue, hängt auch unter Bedingungen einer grundsätzlich gesicherten Handlungsfähigkeit von meiner aktuellen Befindlichkeit ab, in die vielfältige Aspekte (etwa biografische u. a.) eingehen. Ich kann mich dieser Befindlichkeit also grundsätzlich hingeben und muss mich nicht selbst zwingen.

Wenn ich meine Bedürfnisbefriedigung verfolge, kann ich sie gleichzeitig nicht nicht verfolgen. Ich kann sie aber in einer Weise verfolgen, die nicht zum Ziel der Befriedigung der Bedürfnisse führt und mir unter Umständen sogar schadet. Dies kann mir jedoch nicht bewusst sein, denn wäre es mir bewusst, würde ich die Handlungsweise stoppen oder verändern. Die Behauptung, dass der Mensch sich nicht bewusst schaden könne, lässt sich nicht kategorial herleiten und wird daher als materiales Apriori der Individualwissenschaft bezeichnet.[11] Wie ist das gemeint?

Ich handle, um meine Bedürfnisse – etwa kurzfristig oder in einer bestimmten Hinsicht – zu befriedigen, tatsächlich schade ich mir damit – etwa langfristig oder in anderer Hinsicht. Dieser Widerspruch kann mir nach dem Apriori nicht bewusst sein. Da sich jedoch immer wieder Elemente meiner realen Situation in mein Erleben drängen, muss ich entweder aktiv den Widerspruch unbewusst halten oder ihm so, wie er sich mir emotional zeigt, nachgehen, die Gefühle aufschlüsseln und schließlich meine Handlungsweise ändern. Es gibt allerdings auch Situationen, in denen mir bewusst ist, dass ich mir mindestens langfristig schade||93| (häufig angeführtes Beispiel: Rauchen). Ähnlich ist die Situation, wenn ich auf eine aktuelle Bedürfnisbefriedigung bewusst verzichte und Nachteile (u. U. In erheblichem bis lebensbedrohlichem Ausmaß) in Kauf nehme, um etwa langfristig ein höheres Maß an Lebensqualität zu erreichen. Doch auch hier gilt der Satz, dass ich mir damit nicht bewusst schade, denn: Ich rauche nicht, weil ich mir schaden will, sondern weil die Effekte der psychotropen Substanz (Genuss, Entspannung etc.) ein Teil meiner aktuellen Bedürfnisbefriedigung sind. Die gesundheitlichen Risiken des Rauchens können mir dabei durchaus bewusst sein, doch aktuell steht die Frage jeweils erneut an: Befriedige ich kurzfristig meine sinnlich-vitalen Bedürfnisse oder nehme ich etwa das Leiden des Entzugs auf mich, um später rauchfrei leben zu können, was eine höhere Lebensqualität verspricht. Beide Handlungen sind vom jeweiligen Standort des Individuums aus begründet, weil sich die Gründe inhaltlich durch ihren Bedürfnisbezug in der dem Individuum gegebenen Situation bestimmen.

Meine Handlungsgründe sind zwar nicht von einem Außenstandpunkt bestimmbar (oder gar messbar), sie sind dennoch nicht von anderen Menschen getrennt und völlig uneinsehbar. Als allgemeine*r Andere*r, die*der ich für andere bin, sind meine Gründe in der gemeinsamen Welt allgemeiner und damit auch potenziell intersubjektiv verständlicher Art. Dazu muss ich meine Gründe selbst verstehen und begründen können, um sie auch vor anderen begründen zu können. Oft fällt dieser doppelte Prozess in eins, das heißt, es geht um die soziale Selbstverständigung. Allerdings bedeutet die grundsätzliche Verstehbarkeit nicht, dass die Handlungen auch aktuell verständlich sind. Sie können mir unverständlich oder gar „verrückt“ erscheinen, weil mir die Prämissen, vor dessen Hintergrund die*der Andere ihre*seine Gründe hat, unbekannt sind. Damit sind jene Bedeutungen gemeint, die ich aktiv zu den für mich relevanten mache, in dem ich sie aus der unendlich vielfältigen Gesamtheit der Bedeutungen in meiner Lebenslage heraushole und zu den für mich wichtigen Bedeutungen mache. Die Prämissen befinden sich somit einerseits auf der Weltseite, insofern sie der Ausschnitt meiner Lebensbedingungen sind, die meine Handlungsmöglichkeiten bestimmen. Andererseits befinden sie sich gleichzeitig auf der Individuumsseite, weil sie aktiv ausgegliedert werden, das heißt, es sind jene Bedeutungen, die für meine Handlungsgründe entsprechend meiner Bedürfnisse für mich relevant sind und sowohl die konkreten Handlungsmöglichkeiten wie ihre Einschränkungen ausmachen. Handlungsfähigkeit ist folglich immer das Verhältnis von Handlungsmöglichkeiten und Handlungsbehinderungen. Im Prozess der sozialen Selbstverständigung zur Bearbeitung subjektiver Problematiken geht es um die Aufklärung der Prämissen, genauer, um die Aufklärung des Prämissen-Gründe-Zusammenhangs als Kern des allgemeineren Bedingungs-Begründungs-Zusammenhangs.||94|

5 Handlungsfähigkeit im Kapitalismus

Auch für den real existierenden Kapitalismus gilt die allgemeine Bestimmung, dass die Menschen ihre Lebensbedingungen und damit die gesellschaftlichen Verhältnisse herstellen. Diese von ihnen produzierten Verhältnisse treten den Menschen jedoch als fremde entgegen. Anstatt über den gesellschaftlichen Prozess zu verfügen, müssen sie sich einer sachlichen Logik unterordnen.[12] Strukturierendes Prinzip ist die Exklusionslogik, innerhalb derer sich stets die einen auf Kosten von anderen durchsetzen.[13] Unter diesen Bedingungen erscheint die doppelte Möglichkeit, unter den bestehenden Bedingungen zu handeln oder die Verfügung über die Bedingungen des Handelns zu erweitern, stets in widersprüchlicher Form. Strebe ich danach, meine Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und meine Lebensqualität zu verbessern, so ist dies mit dem Risiko verbunden, zu scheitern und auch noch das bisherige Niveau meiner Handlungsfähigkeit einzubüßen. Bringt mich die wegen des genannten Risikos auftretende emotionale Verunsicherung dazu, auf den Versuch der Erweiterung von vornherein zu verzichten, so schränke ich mich freiwillig ein, nehme die bestehenden Beschränkungen hin und füge mich in mein Empfinden emotionalen Ungenügens. Beide Handlungsrichtungen sind subjektiv funktional, also in den je individuell priorisierten Prämissen begründet. Zur analytischen Differenzierung wird der Doppelbegriff restriktive und verallgemeinerte Handlungsfähigkeit verwendet. Restriktive Momente des Handelns sind jene, die bestehende Bedingungen als Handlungsrahmen akzeptieren, verallgemeinerte Momente jene, die eine erweiterte Verfügung über die Bedingungen des Handelns anstreben.

Diese beiden grundsätzlichen Handlungsrichtungen sind keine persönlichen Eigenschaften, die man etwa als eine Art „Status“ innehaben oder erreichen könnte. Es sind Verständigungsbegriffe über das, was wir täglich tun. Jede und jeder ist unter den gegebenen kapitalistischen Bedingungen gezwungen, im restriktiven Modus zu handeln, da es nicht möglich ist, individuell und sofort alle||95| herrschaftsförmigen Verhältnisse grundlegend zu ändern. Gleichzeitig ist niemand darauf zurückgeworfen, ausschließlich im restriktiven Modus zu handeln. Vielmehr hat man an jeder Stelle immer auch die Möglichkeit, anders zu handeln und zu denken, um ein Stück mehr Verfügung über die eigenen Angelegenheiten zu bekommen. Die verallgemeinerte Handlungsfähigkeit bezeichnet also eine Perspektive und keinen Zustand, eine Option, die in kleinen oder großen Schritten die immer vorhandene zweite Möglichkeit sichtbar, denkbar, fühlbar und umsetzbar machen soll. Das Erweitern der Handlungsmöglichkeiten ist ein Prozess, der perspektivisch darauf abzielt, gesellschaftliche Verhältnisse durchzusetzen, in denen die „freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (Marx 1983).

Die Perspektive der zweiten Möglichkeit und einer freien Gesellschaft ist nicht die ferne Zukunft nach der Revolution, die mit unseren heutigen Bedingungen nichts zu tun hat, sondern permanente und präsente Option im täglichen Leben. Zwar besitzen die herrschenden Verhältnisse in ihrer Systemlogik ungeheure Macht und sie legen jedem Einzelnen bestimmte Handlungsoptionen nahe, doch es gibt gute Gründe, diese Nahelegungen zu hinterfragen, immer wieder auch zurückzuweisen und nach anderen Möglichkeiten zu suchen. Und diese gibt es immer, so klein sie auch sein mögen.

Die Nahelegungen in der herrschenden Exklusionslogik gehen nicht etwa bloß von Herrschaftsinstanzen aus (das aber auch), sondern werden von jedem und jeder im alltäglichen Handeln reproduziert. Das Besondere dabei ist, dass dem Handeln im restriktiven Modus eine selbstverstärkende Dynamik innewohnt. Indem ich mit meinen Handlungen Verhältnisse erzeuge und befördere, in denen andere handeln wie ich und versuchen, sich auf meine Kosten durchzusetzen wie ich mich auf ihre Kosten, schlage ich mir selbst ins Genick und zersetze jene Lebensqualität, um deren Erringung es mir eigentlich geht. Die damit benannte Selbstfeindschaft basiert darauf, dass ich um der kurzfristigen Vorteile willen langfristig die Basis meiner eigenen Handlungsfähigkeit verringere.[14] Folgen der perpetuierten Selbstfeindschaft sind etwa die Reduzierung und Zersetzung meiner Lebensqualität, chronische Bedrohungsfixierung und wechselseitige Instrumentalisierung und Kontrolle selbst bis in sexuelle Beziehungen hinein. Nach dem oben dargestellten Apriori kann sich||96| der Mensch jedoch nicht bewusst schaden. Das bedeutet, dass die Selbstfeindschaft dem Individuum nicht bewusst sein kann. Die Konsequenz ist, dass alle tatsächlich dennoch auftretenden Hinweise auf die Mitverantwortung für das eigene Leiden verdrängt, geleugnet, abgespalten und verschleiert werden müssen. Gleichzeitig muss die Tatsache der Verdrängung selbst ebenfalls verdrängt werden, da eine Einsicht in die Verdrängung eine Änderung der einschränkenden Handlungsweise nahe legen würde. Alle real vorhandenen und immer wieder aufscheinenden Alternativen müssen im restriktiven Modus teilweise gegen eigenes besseres Wissen immer wieder bestritten, abgewertet, ausgeblendet etc. werden. Durch die notwendige Wiederholung und kontinuierliche Absicherung etablieren und stabilisieren sich dynamisch unbewusste Weisen der Welt- und Selbstbegegnung.

Die begriffliche Unterscheidung „restriktiv“ und „verallgemeinert“ auf der Handlungsebene findet sich bei den interpersonalen Beziehungen und den psychischen Dimensionen des Denkens, der Emotionen und der Motivation wieder.

Interpersonale Beziehungen im restriktiven Modus sind Instrumentalbeziehungen: Für je mich sind andere Menschen Instrumente meiner Ziele, Interessen und Bedürfnisse, die ich auf ihre Kosten durchsetze. So werden auch Gefühle als Mittel der Instrumentalisierung, des Drucks und der Erpressung eingesetzt. Emotionale Einheiten werden tauschartig kompensatorisch verrechnet, wobei das Sich-unter-Druck-gesetzt-Fühlen zu einer Grundbefindlichkeit werden kann. Das zwecks Kontrolle wechselseitige Ausleuchten des Innenlebens des jeweils Anderen verselbstständigt sich als besonders intensives „Einfühlen“. Charakteristische emotionale Qualitäten sind etwa Schuldgefühle, Enttäuschung, Empfindlichkeit, Eingeschnapptsein, Verletztheit etc., was jedoch im Einzelfall erst empirisch ergründet werden muss. Instrumentalbeziehungen sind nicht nur für andere einschränkend, sondern auch für mich, wenn die anderen genauso mich zum Instrument ihrer Interessen machen werden wie ich umgekehrt sie. Eine Abstiegsspirale der Zersetzung menschlicher Beziehungen kommt in Gang, meine „Anstrengungen“ schlagen wieder auf mich zurück – ich werde mir selbst zum Feind. Die Tatsache der Selbstschädigung wird verdrängt, verleugnet, umgedeutet und ins Unbewusste abgeschoben.

Die instrumentelle Handlungsweise ist keinesfalls ein „individueller Defekt“, den man individuell „hat“ oder „nicht hat“, sondern instrumentelle Beziehungen sind in kapitalistischen Gesellschaften die nahegelegte und oft auch strukturell erzwungene Beziehungsform. Sie spiegeln nicht nur den Konkurrenzkampf innerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik wider, in der sich die Einen auf Kosten der Anderen durchsetzen, sondern reproduzieren diesen auch kontinuierlich in den interpersonalen Beziehungen. Instrumentelles Handeln besitzt somit eine doppelte Funktionalität: Es ist subjektiv funktional im Rahmen restriktiver Handlungsfähigkeit und gleichzeitig systemisch funktional für die Aufrechterhaltung||97| der bestehenden Herrschaftsverhältnisse. Nicht-instrumentelle, solidarische Beziehungen müssen folglich aktiv und bewusst gegen die nahegelegten Formen errungen werden.[15]

Die Alternative zu instrumentellen sind intersubjektive oder kurz: Subjektbeziehungen. Für je mich ist die individuelle Entfaltung anderer Menschen die Voraussetzung für meine eigene Entfaltung. Eine verallgemeinerte inklusive Beziehungsform ist jedoch nur in einer freien Gesellschaft zu haben, in der individuelle Ziele und Wünsche grundsätzlich mit allgemeinen gesellschaftlichen Zielen übereinstimmen. Subjektbeziehungen sind Beziehungen ohne Unterdrückung in einer Gesellschaft ohne Unterdrückung. Sie sind die begründbare Grundlage für wechselseitiges Vertrauen, Angstlosigkeit, Freiheit, Offenheit und Eindeutigkeit in der gegenseitigen Zuwendung. Auch hier wieder ist wichtig, dass die Realisierung instrumenteller oder intersubjektiver Beziehungsaspekte keine persönliche „Fähigkeit“ ist, die man „erwerben“ kann, was etwa teure Psychokurse versprechen. Die Begriffe sind Mittel, um Situationen verstehen und verändern zu können. Niemand muss die Nahelegungen individuell übernehmen oder gutheißen. Aber genauso kann auch niemand bloß individuell die gesellschaftliche Instrumentalität als Strukturprinzip loswerden – das geht nur gesellschaftlich. Gleichwohl lassen sich interpersonale Beziehungen auch unter restriktiven gesellschaftlichen Bedingungen so gestalten, dass partiell intersubjektive Momente zur Geltung kommen und instrumentelle Momente erkannt und bewusst in Richtung verallgemeinerter Handlungsfähigkeit angegangen werden.

Die Denkweisen restriktiver und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit werden als Deuten und Begreifen bezeichnet. Das deutende Denken im Rahmen restriktiver Handlungsfähigkeit ist ein um die doppelte Möglichkeit verkürztes Denken, bei dem die grundsätzlich immer gegebene zweite Möglichkeit der Verfügung über die Bedingungen zugunsten des alleinigen Handelns unter Bedingungen ausgeblendet wird. Sofern Möglichkeiten gedacht werden, so erscheinen diese nur als Möglichkeiten unter unverfügbaren Bedingungen. Das Deuten blendet gesellschaftliche Bezüge aus. Probleme, Widersprüche und Konflikte erscheinen so, als ob sie auch in der unmittelbaren Lebenslage und bloß interpersonal auf der Ebene der Beziehungen gelöst werden könnten. Oder sie kommen mir so vor, als ob sie nur mir zustoßen und allein in meiner Person zu verorten und zu||98| lösen seien. Auf diese Weise werden gesellschaftliche Widersprüche psychisiert und verinnerlicht.

Das Deuten kann daher auch als Unmittelbarkeitsdenken bezeichnet werden. Die eigentlich mögliche Qualität der erkennenden und reflektieren Distanz geht verloren. Es leistet den anschaulichen, unmittelbar sinnlichen Evidenzen in der Wahrnehmung kaum Widerstand, die erscheinende Oberfläche wird für das Ganze genommen. Die kapitalistischen Fetischverhältnisse[16] erscheinen als natürliche Form des Produzierens und Zusammenlebens. Das Deuten reproduziert das exklusionslogische Denken im Modus von Instrumentalbeziehungen. Subjektbeziehungen werden so nicht denkbar, weil der Bezug auf die Verfügung über die Lebensbedingungen ausgeklammert ist. Kooperationen sind zwar möglich, basieren aber stets auf Partialinteressen, die sich gegen andere kollektive Partialinteressen richten. Das Deuten ist die naheliegende, nahegelegte und (subjektiv wie systemisch) funktionale Denkform des Sich-Einrichtens in der wechselseitigen Instrumentalisierung innerhalb der Exklusionslogik der kapitalistischen Warengesellschaft und tendiert zur dynamisch-regressiven Absicherung gegen die den restriktiven Modus überschreitenden „Einbrüche“ der zweiten Alternative.

Das begreifende Denken im Rahmen verallgemeinerter Handlungsfähigkeit steht nicht im Gegensatz zum Deuten, sondern schließt es notwendig ein, da in der unmittelbaren Lebenspraxis zunächst die deutenden Denkweisen angeeignet werden müssen. Das gilt auch für die fetischistischen Formen der Warengesellschaft, da ich nicht anders kann, als meine Existenz in den bürgerlichen Formen von Tausch, Verdinglichung und Exklusion zu reproduzieren, womit ich gleichzeitig eben diese Formen erhalte und herstelle. Das Begreifen überschreitet jedoch die Unmittelbarkeit in Richtung auf das Denken der gesellschaftlichen Zusammenhänge. Ich kann die Entfremdung nicht unmittelbar abschaffen, mir aber ein Begriff von der Entfremdung verschaffen, um mich dazu bewusst zu verhalten. Diese Überschreitung ist eine universelle menschliche Potenz, d. h. keine Einschränkung der Handlungsfähigkeit kann die Möglichkeit des Begreifens ausschließen. Allerdings handelt es sich auch nicht um einen einmal zu erreichenden||99| Denkstatus, sondern das Begreifen muss jedes Mal erneut errungen werden. Grundsätzlich sind Inkonsistenzen, Rückfälle, Regressionen etc. nicht auszuschließen. Dadurch ist das Begreifen risikoreich und anstrengend, denn Begreifen bedeutet permanentes Auflehnen gegen bestehende und nahegelegte Selbstverständlichkeiten, Normen und Ideologeme. Es kann das Unbewusste zurückdrängen, indem ich mir die strukturelle Selbstfeindschaft bewusst mache und reale Beschränkungen, Abhängigkeiten und Unterdrückungsverhältnisse nicht mehr personalisierend mir selbst bzw. meinen unmittelbaren Interaktionspartner*innen anlaste. Ich kann die Verbundenheit mit allen Menschen erfahren, die ihre Bedürfnisse nicht auf meine Kosten befriedigen, sondern gemeinsam eine Form finden, in der die je individuelle Bedürfnisbefriedigung aller möglich wird. Das Begreifen hat den Charakter eines qualitativen Umschlags und setzt daher einen Bruch mit dem bisherigen Denken und der bisherigen Lebenspraxis voraus, denn nur die ansatzweise als realisierbar erfahrene Möglichkeit eines besseren Lebens eröffnet Wege zum begreifenden Denken. Es ist Widersprüche erfassendes, mehrseitiges Denken, das die im Unmittelbarkeitsdenken vollzogene Trennung und Isolation von zusammengehörenden Momenten aufheben kann. Damit werden auch die Voraussetzungen geschaffen, die Widersprüche ernst zu nehmen, um sich in den Widersprüchen zu bewegen, statt sie zu negieren und sich und anderen etwas vorzumachen.

Deuten wie Begreifen sind kategorial fundierte Richtungsbestimmungen, keine Eigenschaften des Denkens. Wie alle Kategorien ist auch das Begriffspaar Deuten/Begreifen Mittel in der Hand der Betroffenen, um ihre eigene Lebenslage durchdringen zu können. Die deskriptive Skizze zur Illustration der Kategorien ist also in jedem Einzelfall empirisch zu überprüfen und kann nicht als Wahrheit an sich genommen werden. Dies gilt auch für das Kategorienpaar der restriktiven und verallgemeinerten Emotionalität.

Die restriktive Emotionalität gewinnt im Zusammenhang mit dem deutenden Denken ihre besondere Qualität und Dynamik. Um das deutende Denken konsistent zu halten, müssen alle überschreitenden Hinweise verdrängt werden. Gleichzeitig spiegelt die emotionale Befindlichkeit die subjektive Wertung der individuellen Lebenslage tatsächlich wider. Kognitive und emotionale Weltbeziehungen geraten so in einen Widerspruch zueinander. Empfindungen wie Unbehagen und Ungenügen verweisen darauf, dass die Emotionen mehr Hinweise über den subjektiven Möglichkeitsraum geben, als im deutenden Denken aufgezeigt werden. Die Emotionen werden so von den objektiven Lebensbedingungen getrennt, auf die sie eigentlich verweisen, und werden stattdessen als bloß „privater Zustand“ verinnerlicht. Gefühl und Verstand, „Kopf“ und „Bauch“ erscheinen als einander ausschließende Gegensätze. Handlungsimpulse, die auf die zweite||100| Alternative verweisen und zu Konflikten mit verinnerlichten Normen und Zwängen, aber auch real machtvollen Instanzen führen können, müssen entschärft, geleugnet und verdrängt werden, um die restriktiv-personalisierende Welt- und Selbstbegegnung nicht infrage stellen zu müssen. Die eigenen Gefühle werden so entwichtigt, relativiert, verdunkelt und umgedeutet und damit ihres die Realität aufschließenden Charakters beraubt. Angst kann als permanentes Hintergrundgefühl auftreten, da die implizite Anerkennung der selbstfeindschaftlichen Exklusions- und Herrschaftsstrukturen für die eigene Handlungsfähigkeit bedrohlich werden kann. Diese Angst kann jedoch nicht zugelassen werden, da es sie eigentlich gar nicht geben dürfte, solange die emotionale Infragestellung der Gründe, im restriktiven Modus zu verbleiben, nicht zugelassen wird. Wird die Verdrängung perpetuiert, um das fragile Lebensgefüge aufrechtzuerhalten, indem überschreitende emotionale und kognitive Hinweise ausgeblendet oder umgedeutet werden, dann kann die „unbewusste Angst“ – die Angstdurchsetztheit bei gleichzeitiger Angstverleugnung – Quelle von psychischen Störungen werden, da die Konflikte allein in der Unmittelbarkeit der personalisierenden Bewältigungsstrategien nicht auflösbar sind. Gerade in der Fixierung auf das Unmittelbare und bloß interaktive Personale ist eine „direkt“ anstrebbare Bedürfnisbefriedigung produktiver wie sinnlich-vitaler Art kaum oder nicht erreichbar.[17]

Die verallgemeinerbare Emotionalität ist zugelassene wirkliche, erlebte Emotionalität und kann damit zur Erkenntnisquelle für die eigene Welt- und Selbstbeziehung werden. Sie durchdringt den Schein der bloßen innerlich eingeschlossenen Privatheit der Gefühle und entfaltet ihre orientierende Qualität in den wirklichen Widersprüchen der eigenen Lebenslage in der kapitalistischen Warengesellschaft. Sie ermöglicht damit ein bewusstes Verhalten zu den eigenen Gefühlen und erfasst die in den emotionalen Wertungen liegenden subjektiven Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten in Richtung auf eine kollektive Erweiterung der Verfügung über die relevanten Lebensbedingungen. In der Konsequenz richtet sie sich auf die Schaffung von allgemeinen Bedingungen für die Entfaltung der menschlichen Lebenserfüllung und Bedürfnisbefriedigung für alle Menschen. Der Tendenz nach gewinnen solche Emotionen eher an Stabilität, Entschiedenheit, Fülle und Angstfreiheit, wobei dies unter den gegebenen herrschaftlichen Strukturen niemals absolut als Quasi-Zustand erreichbar ist, sondern||101| immer wieder gegen die alltäglichen Nahelegungen, Normen und scheinbaren Selbstverständlichkeiten errungen werden muss. Jedes Stück verallgemeinerten, nicht-instrumentellen emotionalen Engagements muss stets erneut den nie völlig zurückzudrängenden Tendenzen zur emotionalen Verinnerlichung und Selbst- und Fremdinstrumentalisierung abgerungen werden.

Wie auch beim Denken lassen sich diese Ausführungen nur als Richtungsbestimmungen verstehen, die zwar ein kategoriales Fundament besitzen, aber selbst keine Eigenschaften o.ä. fixieren. Dies gilt auch für die abschließende Diskussion der Motivation im Rahmen restriktiver und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit, dem inneren Zwang und der verallgemeinerten Motivation.

Innerer Zwang ist verinnerlichter äußerer Zwang und somit ein Moment des Unbewussten. Motivationsprobleme werden vom Individuum im Rahmen restriktiver Handlungsfähigkeit so wahrgenommen, als ob sie lediglich innerhalb der unmittelbaren Lebenspraxis entstehen und auch nur hier bloß individuell oder interaktiv lösbar sind. Da dies real aber nicht der Fall ist, kommt es immer wieder zu Rückschlägen, Misserfolgen und Niederlagen, die jedoch nicht auf ihre reale Verankerung in den objektiven Zwängen und Handlungslogiken der kapitalistischen Gesellschaft zurückgeführt, sondern psychisiert und personalisiert, der eigenen Unfähigkeit, der Böswilligkeit anderer etc. angelastet werden. Um auch hier den in deutendem Denken und restriktiver Emotionalität gegebenen Handlungsrahmen konsistent zu halten, müssen all jene Aspekte der Realität ausgeklammert werden, die auf die Selbstfeindschaft des um unmittelbarer Vorteile willen reproduzierten exkludierenden Handelns verweisen. Äußere Zwänge müssen vom Individuum so verinnerlicht werden, dass die strukturell restriktiven und entfremdeten Bedingungen unsichtbar bleiben, um diese nicht angehen zu müssen, da eine Konfrontation neue Risiken beinhalten könnte. Die immer wieder zu aktualisierende Verinnerlichung der äußeren Strukturzwänge als innerer Zwang muss jedoch zugleich unbewusst gehalten werden, um den selbstfeindschaftlichen Charakter nicht erkennen zu müssen.[18] Hinweise gebende „gefährliche“ Emotionen und „kritische“ Gedanken müssen aktiv und präventiv kanalisiert, umgedeutet und abgewehrt werden. In den kontinuierlich zu reproduzierenden präventiv-absichernden Regulationen der kognitiv-emotionalen Prozesse liegt das dynamisch-regressive Moment des Unbewussten.||102|

Die verallgemeinerte Motivation als Überschreitung des verinnerlichten Zwangs besteht darin, die gesellschaftlichen Zielkonstellationen so zu verändern, dass allgemeine und individuelle Vorsorge in Deckung kommen, also Verhältnisse zu schaffen, in denen die je individuelle Entfaltung die Bedürfnisse der anderen nicht negiert, sondern einschließt. Im Eintreten für solche Verhältnisse kann sich dabei der Motivationswiderspruch zwischen Chancen und Risiken zuspitzen, dem wiederum durch Aufbau solidarischer überindividueller Zusammenschlüsse begegnet werden kann.

6 Abschluss

Der kursorische Überblick über die kategoriale Entwicklung der Kritischen Psychologie sei damit an dieser Stelle beendet. Konsequenzen für die aktualempirische Forschung oder die Konkretisierung für verschiedene Anwendungsbereiche können aus Platzgründen hier nicht dargestellt werden. Verwiesen sei auf die Publikationen von Holzkamp (1993), Markard (2000, 2009), Markard und ASB (2000) sowie auf die Website www.kritische-psychologie.de.

Anmerkungen

[1] Heute gibt es zahlreiche emanzipatorische Ansätze in der Psychologie, die – würde die Kritische Psychologie noch einmal entstehen – sicher erheblichen Einfluss auf ihre Grundstruktur haben würden.

[2] Klaus Holzkamp (1984, S. 37) am Beispiel des Unbewussten:

„Man wird so die Freudsche Fassung des ‚Unbewußten‘ in ihren metaphysischen und irrationalistischen Momenten zwar zurückzuweisen haben, aber dabei gleichzeitig begreifen, daß ‚unbewußte‘ Aspekte der subjektiven Welt- und Selbsterfahrung aufgrund der unaufhebbaren Widersprüchlichkeit zwischen unmittelbarer Befindlichkeit und gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit individueller Existenz ein notwendiges Bestimmungsstück des Ringens um bewußte Lebensführung ist, womit auch die Weisen und Formen subjektiver Realitätsausklammerung und Widerspruchseliminierung ein zentrales Thema marxistisch fundierter Psychologie sein müssen.“

[3] Dass sie tatsächlich nicht determiniert sind und sich u. U. auch ‚instruktionswidrig‘ verhalten, gilt als aus dem Experiment zu exkludierender Fehlerfall, obwohl genau darin – sich auch zu einschränkenden Bedingungen bewusst verhalten zu können – das spezifisch Menschliche liegt.

[4] Ausnahme sind etwa Reflexe.

[5] Hieraus entsteht schließlich auch die Sprache als symbolische Repräsentanz verallgemeinert geschaffener Bedeutungen, was allerdings in diesem Text nicht weiter ausgeführt werden kann.

[6] Auf kooperativem Niveau in überschaubaren Gruppen war unmittelbar einsichtig und organisatorisch festgelegt, was von wem hergestellt und genutzt wurde. Die Individuen ‚klebten‘ mit ihrem Beitrag und auch mental an ihrer Gruppe. Mit der Integration der Kooperationen zur Gesellschaft entsteht eine Metastruktur, die diese unmittelbare Verknüpfung lockert und schließlich aufhebt. Der Zusammenhang ist nun nur mehr mittelbar oder vermittelt gegeben. Die weitreichenden Konsequenzen dieser Unmittelbarkeitsdurchbrechung für die psychischen Funktionen werden im Folgenden diskutiert.

[7] Das ‚bewusste‘ Verhalten ist hier nicht normativ im Sinne externer Rationalitätsmaßstäbe gemeint, sondern im Sinne des Erkennens und Bewertens gemessen an ‚je meinen‘ Maßstäben.

[8] Dies hat methodisch die Konsequenz, dass Andere nicht als Erkenntnisgegenstand auf der Objektseite stehen können, sondern es sich um andere Subjekte wie mich handelt. Dem wird durch das Konzept von Forschenden und Mitforschenden Rechnung getragen, was hier nicht ausgeführt werden kann (s. Markard in diesem Band).

[9] Ein hungerndes Individuum leidet „nicht nur isoliert ‚Hunger‘ als spezielle Bedürfnis-Spannung, sondern es leidet darin und gleich elementar an seiner Ausgeliefertheit an eine Situation, in welcher es so weitgehend von der vorsorgenden Verfügung über seine eigenen Lebensbedingungen abgeschnitten ist, dass es ‚hungern‘ muß“ (Holzkamp 1983, S. 246).

[10] Heute wäre etwa zu fragen, inwieweit ‚Motivationsprobleme‘ auch den prekärer werdenden Zusammenhang von Beitrag zur gesellschaftlichen Vorsorge (im Angesicht von Krisen und sichtbar werdender Ressourcengrenzen, Stichwort ‚Peak Everything‘) und eigener Existenzsicherung widerspiegeln.

[11] Es ist durchaus umstritten, ob es sich wirklich um eine Setzung („Apriori“) handelt oder ob sich die Aussage, der Mensch könne sich nicht bewusst selbst schaden, aus dem Bedürfnisbezug der Handlungsgründe ergibt.

[12] Obwohl niemand wirklich über den gesellschaftlichen Prozess verfügt, sind gleichwohl Macht, Einfluss und Privilegien in der Gesellschaft sehr ungleich verteilt.

[13] Ich verwende den Begriff der Exklusionslogik anstatt der holzkampschen Wendung des „Arrangements mit den Herrschenden“, da dieser mir wesentlich geeigneter auf die strukturellen Bedingungen des Handelns zu verweisen scheint und nicht so leicht der Gefahr der Personifizierung oder Personalisierung erliegt. Zudem wird damit die holzkampsche strukturelle Beschreibung des sich auf Kosten anderer Durchsetzens auf den Begriff gebracht (vgl. dazu ausführlich Meretz 2012, Abschn. 8.5 und 12.2).

[14] „Meine Instrumentalisierung des anderen impliziert notwendig, dass auch der andere mich instrumentalisiert. Indem ich ihn von mir isoliere, isoliert er mich von sich. Damit bin ich, im Versuch, mich durch die Kontrolle anderer abzusichern, immer mehr auf mich selbst zurückgeworfen, also immer ohnmächtiger den von mir unverfügbaren Lebensbedingungen ausgeliefert. […] Der Versuch der Fremdkontrolle produziert hier also selbst permanent sein Gegenteil, die Verringerung der ‚zweiten Möglichkeit‘ der Bedingungsverfügung, damit der Absicherung auch der Handlungsmöglichkeiten im jeweils gegebenen Rahmen.“ (Holzkamp 1983, S. 377 f.)

[15] Tatsächlich ist die Gemengelage noch komplexer, da im Reproduktionsbereich durchaus nicht-instrumentelle und solidarisch-liebevolle Beziehungen nicht nur subjektiv funktional, sondern auch systemisch erforderlich sind. Würde Familien im Modus der konkurrenzförmigen Verwertungslogik operieren, könnten sie nicht bestehen.

[16] Erscheinen soziale Verhältnisse als sachliche, so wird das als Fetisch bezeichnet. So erscheint die Warenproduktion als natürliches Sachverhältnis von tauschenden Produzent*innen und die entstehenden Waren als ihre natürlichen dinglichen Ergebnisse. Tatsächlich sind Warenproduktion und Waren nicht natürlichen, sondern allein sozialen Charakters und damit auch veränderbar. Der Fetisch verschleiert, dass die gesellschaftlichen Lebensbedingungen auch in anderer sozialer Form als der Warenform hergestellt werden können, wodurch die kapitalistischen Verhältnisse als natürlich und ewig erscheinen.

[17] Holzkamp (1983, S. 407) formuliert zugespitzt: „Die direkte Bezogenheit auf die eigene Emotionalität, die Vorstellung, man könnte seine emotionalen Möglichkeiten unter Ausklammerung der Wirklichkeitserkenntnis und Realisierung der daraus sich ergebenden Handlungsnotwendigkeiten entwickeln, ist nichts anderes als ideologisch abgesicherter Selbstbetrug.“

[18] „Der sich so als Moment des ‚Unbewußten‘ sich herausbildende ‚innere Zwang‘ ist mithin eine ‚motivationsförmige‘ subjektive Mystifizierung der Tatsache der Unterdrückung durch die herrschenden Verhältnisse, durch deren Akzeptieren man an der eigenen Unterdrückung aktiv beteiligt ist“ (Holzkamp 1983, S. 413).

Literatur

Beck, U. (1986). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt a. M.: Campus.

Holzkamp, K. (1984). Die Bedeutung der Freudschen Psychoanalyse für die marxistisch fundierte Psychologie. Forum Kritisch Psychologie 13. Argument Sonderband, 106, 15–40.

Holzkamp, K. (1993). Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt a. M.: Campus.

Markard, M. (2000). Kritische Psychologie: Methodik vom Standpunkt des Subjekts. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research 1(2), Art.19.

Markard, M. (2009). Einführung in die Kritische Psychologie. Hamburg: Argument.

Markard, M., & ASB [Ausbildungsprojekt Subjektwissenschaftliche Berufspraxis] (2000). Weder Mainstream noch Psychoboom. Kritische Psychologie und studentische Praxisforschung. Konzepte und Erfahrungen des Ausbildungsprojekts „Subjektwissenschaftliche Berufspraxis“ an der Freien Universität Berlin. Hamburg: Argument.

Marx, K., & Engels, F. (1983 [1848]). Manifest der Kommunistischen Partei. Berlin: Dietz.

Meretz, S. (2012). Die „Grundlegung der Psychologie“ lesen. Einführung in das Standardwerk von Klaus Holzkamp. BoD: Norderstedt.

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