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12.3 Restriktive und verallgemeinerte Handlungsfähigkeit
Ausgangspunkt für den nächsten Darstellungsschritt des zweiten Niveaus der individualwissenschaftlichen Kategorienbildung (vgl. Kap. 12) ist die doppelte Möglichkeit der Individuen, unter den bestehenden Bedingungen zu handeln oder die Verfügung über die Bedingungen des Handelns zu erweitern (vgl. Kap. 11.3). Bezieht man nun diese generelle Bestimmung auf die konkreten Lebensbedingungen des Individuums, so bezeichnet Holzkamp die Handlungsmöglichkeiten in der Lebenslage und Position als subjektive Möglichkeitsräume. Diese sind gewissermaßen auf der Seite des Subjekts das Äquivalent zu den Infrastrukturen auf der Seite der objektiven Bedingungen.
Wie sind nun die Prämissen–Gründe-Konstellationen in den subjektiven Möglichkeitsräumen beschaffen? Wann ist es subjektiv funktional, also begründet, freiwillig auf die Verfügungserweiterung und Erhöhung der Lebensqualität zu verzichten? Die Antwort liegt auf der Hand: Dann, wenn
»die angestrebte Erweiterung der Lebensqualität durch ein höheres Niveau relativer Handlungsfähigkeit immer (mehr oder weniger) mit der existentiellen Verunsicherung darüber verbunden sein muss, ob man tatsächlich das höhere Handlungsfähigkeitsniveau erreichen kann oder nicht stattdessen auch noch die Handlungsfähigkeit auf dem gegenwärtigen niedrigeren Stand einbüßen wird.« (371)
Dabei spielt eine Rolle, dass die Bestrebungen zur »Erweiterung der Bedingungsverfügung gegen herrschende Partialinteressen an der Erhaltung der relativen Verfügungslosigkeit der Beherrschten gerichtet« (ebd.) sein kann, was dazu führt, dass sich durch die »Machtausübung der herrschenden Instanzen zur Unterdrückung solcher Handlungen die Bedrohung des gegenwärtigen Handlungsfähigkeitsniveaus und Gefährdung der individuellen Existenz gravierend erhöhen« (372) kann. Solche Bedrohungen präsentieren sich in den alltäglichen Infrastrukturen »vielfältig vermittelt und gebrochen« (ebd.).
Die damit auf den Begriff gebrachte restriktive Handlungsfähigkeit steht im Fokus der kritisch-psychologischen Analysen, da es unter unseren Bedingungen zunächst darum geht, die vielfältigen Formen von Behinderungen und Selbstbehinderungen der Handlungsmöglichkeiten in einem Prozess der sozialen Selbstverständigung sichtbar machen zu können.
Wann ist es subjektiv funktional, also begründet, trotz Bedrohungen die Verfügungserweiterung und Erhöhung der Lebensqualität anzustreben, und wie kann dies gehen? Die Antwort Holzkamps spiegelt den politisch-theoretischen Debattenstand zur Zeit der Entstehung der GdP wider :
»Die Alternative der Verfügungserweiterung kann nur insoweit subjektiv begründet/funktional werden, wie das Individuum zugleich mit der Möglichkeit der Verfügungserweiterung auch die Möglichkeit erfährt, die dabei zu antizipierende Existenzgefährdung abzuwenden, d.h. durch Zusammenschluß in unmittelbarer Kooperation eine überindividuelle Gegenmacht von der Größenordnung zu gewinnen, die die Gefährdung der je individuellen Existenz aufheben kann« (372f)
Hier ist vor allem an die politische Organisierung gedacht, an Gewerkschaften, Parteien und andere Organisationsformen, wie dies den damaligen Vorstellungen gesellschaftlicher Transformation (Machterringung über die politischen Infrastrukturen des Staates) entsprach. Die heutige Bandbreite transformativer Konzepte ist hingegen wesentlich größer und schießt auch direkt-solidarische Formen des Produzierens und Lebens ein, die ebenfalls unter die allgemeine Bestimmung des unmittelbar-kooperativen Zusammenschlusses zur Gewinnung von überindividueller Handlungsmacht genommen werden können.
Eine sehr treffende und in der gegebenen Kürze allgemeine Fassung der Alternative restriktive/verallgemeinerte Handlungsfähigkeit findet sich in der inhaltlichen Beschreibung des Buches im Impressum der GdP:
»›Restriktive Handlungsfähigkeit‹ als individuell-unmittelbare Bedürfnisbefriedigung und ›verallgemeinerte Handlungsfähigkeit‹ als gemeinsame Erweiterung der gesellschaftlichen Lebensmöglichkeiten« (2)
Dies wird in den folgenden Kapiteln auszuführen sein.
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[…] sich damit im Spannungsfeld von restriktiver und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit (vgl. Kap. 12.3). Eine genauere Klärung der möglichen Widersprüche kann nicht auf kategorialer, sondern nur auf […]
[…] Ellenbogenverhalten, das, was die durch Klaus Holzkamp begründete Kritische Psychologie restriktive Handlungsfähigkeitnennt, intensiviert sich bei besonders neoliberal angepassten […]
[…] of ass-wipes. Ruthless behavior — what the critical psychologist Klaus Holzkamp called the restrictive capacity to act — intensifies in subjects who particularly conform to neoliberal […]