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1.3 Der methodische Fünfschritt

In der GdP wird der im folgende vorgestellte »Fünfschritt« erst aus der methodischen Wendung der Entstehung des Psychischen verallgemeinert. Hier sei er vorgezogen, um ihn dann bei der Genese des Psychischen zu verwenden.

Der methodische Fünfschritt ist eine Konkretisierung des dialektischen Prinzips des Umschlags von Quantität in Qualität. Er beantwortet die Frage, wie qualitativ Neues aus einem vorherrschenden Alten entstehen und sich schließlich durchsetzen kann. Es handelt sich um ein retrospektives Vorgehen, bei dem das »Ergebnis« des Entwicklungsprozesses bekannt ist und den Ausgangspunkt bildet, den Werdens- und Durchsetzungsprozess zu rekonstruieren. Folgende fünf Analyseschritte sind zu gehen:

  1. Schritt: Aufweis der Entwicklungsdimension und der Frühformen, die die qualitative Entwicklung vollziehen.
  2. Schritt: Aufweis der objektiven Veränderungen des Außenweltbedingungen, die einen Selektionsdruck in Richtung auf die untersuchte qualitative Entwicklung erzeugen.
  3. Schritt: Aufweis des Funktionswechsel als erstem qualitativem Sprung im Entwicklungsprozess, bei dem die neue Funktion zur bedeutenden, aber noch untergeordneten Funktion wird und noch »im Dienste der besseren Systemerhaltung auf dieser Stufe steht« (79).
  4. Schritt: Aufweis des Dominanzwechsels als zweitem qualitativem Sprung im Entwicklungsprozess, bei dem die früher charakteristische Funktion durch die neue, nun den gesamten Prozess der Systemerhaltung bestimmende Funktion abgelöst wird.
  5. Schritt: Aufweis der Umstrukturierung und neuen Entwicklungsrichtung des Gesamtsystems.

Klaus Holzkamp hat den Fünfschritt aus der Analyse der Genese des Psychischen gewonnen, seinen Geltungsrahmen aber nicht auf die Phylogenese begrenzt. So hält er allgemein eine Differenzierung »bei jedem Entwicklungsprozeß« (424) für notwendig und kommt etwa bei der Untersuchung der Ontogenese darauf zurück. Da der Fünfschritt allgemein den Umschlag von Quantität in Qualität konkretisiert, ist der Fünfschritt bei all jenen Entwicklungsprozessen anwendbar, bei denen auch das dialektische Entwicklungsprinzip aufgezeigt werden kann.

Abb. 2: Der verallgemeinerte methodische Fünfschritt.

Abb. 2: Der verallgemeinerte methodische Fünfschritt

Die in Abb. 2 dargestellte verallgemeinerte Fassung des methodischen Fünfschritts mag dazu beitragen, den spezifischeren Fünfschritt der GdP leichter zu verstehen. Dazu einige Erläuterungen.

1. Keimform

Zunächst geht es darum, sich klar zu machen, was analysiert werden soll — hier gilt es vier Begriffe zu unterscheiden: Was ist das betrachtete System, welches ist die betrachtete Dimension innerhalb des Systems, wie sieht die alte dominante Funktion der betrachteten Dimension aus, und was ist die Keimform (die »Frühform«), die in den Prozess der dialektischen Negation eingeht und später zur bestimmenden Funktion wird. Im Unterschied zur Vorstellung eines Keims, der alle Anlagen bereits enthält und sie nur noch entfalten muss, weist der Begriff der Keimform darauf hin, dass die identifizierte neue Funktion nur der Form nach eine neue Qualität repräsentiert, nicht aber selbst schon diese neue Qualität ist. Erst im weiteren Entwicklungsprozess, in dem die Keimform selbst qualitativ verändert wird, kann sie schließlich ihre spezifische Funktionalität entwickeln, mit der sie sich als neue bestimmende Funktion durchsetzt.

2. Krise

Nur wenn die betrachtete Dimension im analysierten System mit seiner alten Funktionslogik nicht mehr dauerhaft für die Aufrechterhaltung der Systemintegrität sorgen kann, das System also in eine Krise gerät, kann die Keimform aus ihrer Nischenrolle heraustreten. Ursachen für solche Krisen können sowohl von außen wie auch von innen kommen. Veränderungen der Außenbedingungen des Systems und auch die eigene Entwicklung des Systems können zu einem inneren Entwicklungswiderspruch führen. Ein innerer Widerspruch zwischen den Kapazitäten des Systems und veränderten Bedingungen kann durch Entwicklung aufgehoben werden. Überschreitet das Ausmaß der Veränderung der Bedingungen die Kapazitäten des Systems mit »Entwicklung« zu reagieren, kann es zum Kollaps des Systems kommen. Das andere Extrem ist die Stagnation als Fall der Abwesenheit von Widersprüchen. Für den hier betrachteten Entwicklungsschritt ist jene Widerspruchskonstellation bedeutsam, in der der Keimform eine neue Bedeutung zur Lösung der Widersprüche zukommt.

3. Funktionswechsel

Die Keimform tritt aus ihrer untergeordneten und randständigen Bedeutung heraus und gewinnt eine qualitativ neue Funktion für den gesamten Systemprozess. Holzkamp betont die Bedeutung des Funktionswechsels:

»Von größter Wichtigkeit ist dabei, daß bei dem qualitativen Sprung durch Funktionswechsel die dialektische Negation nur im Bereich einerder bestimmenden Funktion der früheren Stufe noch untergeordnetenPartialfunktion erfolgt, quasi im Dienste der besseren Systemerhaltung auf dieser Stufe steht, daß also die qualitativ spezifische Funktion hier noch nicht für den Gesamtprozeß bestimmend geworden ist« (79).

Dies geschieht erst im nächsten Schritt. Zur Betonung der positiven Funktion für den noch nach alter Logik ablaufenden Systemprozess ist die gleichzeitige Inkompatibiltät der nun qualitativ spezifischen Funktion mit der bestehenden bestimmenden Funktion hinzuzufügen. Nur wenn die neue Funktion nicht nur als bloße Erweiterung der Systemkapizität innerhalb der alten Logik in Anspruch genommen und damit absorbiert werden kann, sondern ihre Eigenständigkeit und Spezifik behauptet, die sie im dritten Schritt erlangt hat, kann es zum zweiten qualitativen Sprung kommen.

4. Dominanzwechsel

Die neue Funktion setzt sich durch und löst die alte Weise, die Systemintegrität aufrecht zu erhalten, ab. Damit verschwindet die alte Funktion (zunächst) nicht, sondern im Verhältnis zur neuen dominanten Funktion tritt die alte als vormals bestimmende Funktion zurück. Der Dominanzwechsel setzt notwendig den Funktionswechsel voraus. Es ist niemals so, dass neue Funktionen

»schon bei ihrem ersten Vorkommen für die Systemerhaltung bestimmend sein können, sondern [sie sind] zunächst nur zusätzliche ›spezialisierte‹ Leistungsmöglichkeiten eines in ›konservativer‹ Weise auf der alten Stufe sich erhaltenden Systems… Wenn es hier dennoch zum Qualitätsumschlag der Gesamtentwicklung kommen kann, dann deswegen, weil der Übergang zur neuen Entwicklungsstufe sich nicht auf einer einzelnen Dimension vollzieht, sondern die Umkehrung des Verhältnisses zweier für sich kontinuierlich veränderter Dimensionen darstellt. Eine solche Umkehrung des Verhältnisses zwischen bestimmender und nachgeordneter Funktion als Dominanzwechsel ist, obwohl sich beide Funktionen in der Entwicklung kontinuierlich darauf zu bewegen, selbst nicht kontinuierlich, sondern ein punktuelles Umkippen.« (80)

5. Umstrukturierung

Die Entwicklungsrichtung, Struktur und Funktionslogik des neuen Gesamtsystems ändern sich. Dabei geht es nun darum zu zeigen,

»welche älteren Dimensionen im neuen Zusammenhang funktionslos werden, als auch, wie sich die Funktion früherer Dimensionen neu bestimmt, und wie sich unter der neuen Leitfunktion spezifische strukturelle und funktionale Differenzierungen in der weiteren Entwicklung ergeben« (80).

Das wiederum kann ein neuer Ausgangspunkt eines weiteren qualitativen Entwicklungszyklus werden, womit sich das erreichte neue Entwicklungsniveau zur ersten Stufe im neuen Zyklus wird.

Im nächsten Abschnitt beginnt die inhaltliche Darstellung der Genese des Psychischen. Ihre Darstellung erfolgt entlang des hier allgemein vorgestellten Fünfschritts, der damit am konkreten Beispiel noch einmal illustriert werden wird.

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