Vorher lesen: 3.1 Drei Formen der Orientierung
3.2 Orientierung und Ausführung
Die organismischen Aktivitäten können unterschieden werden in solche, die sich auf die Orientierung und solche, die sich auf die Ausführung der angestrebten Ziele zur Arterhaltung beziehen. Orientierungsaktivitäten sind dabei als vermittelnde (hinführende) Aktivitäten immer auf Ausführungsaktivitäten bezogen, differenzieren sich aber im Verlaufe der Evolution eigenständig aus. Anschaulich formuliert schieben sich zwischen den jeweils gegebenen Zustand des Organismus bzw. der Population immer mehr orientierende Teilaktivitäten, um die Ausführungsaktivitäten, die das Überleben der Art sicherstellen, zu ermöglichen. Die Ausführungsaktivitäten und die ihnen zugeordneten Ausführungsbedeutungen lassen sich in zwei Funktionskreise unterteilen:
- Arterhaltung (Fortpflanzung)
- Selbsterhaltung (Existenzsicherung)
Dabei ist die Selbsterhaltung zunächst noch vollständig der Arterhaltung untergeordnet.
Nebenstehende Tabelle (Abb. 6) zeigt schematisch Orientierungs- und Ausführungsaktivität in Abhängigkeit von der Orientierungsform. Bei der elementaren Form der Gradientenorientierung sind alle drei Aspekte noch zusammengeschlossen. Die Orientierung an einem Gradienten ist nur möglich vermittels einer Orientierungsbewegung, die wiederum die unmittelbare Voraussetzung für die Ausführungsaktivität ist (etwa die Nahrungsaufnahme durch gesteuerte Diffusion über die Zellmembran).
Bei der Orientierungsform der Aussonderung/Identifizierung gelingt die Orientierung ebenfalls nur durch die Bewegung des Organismus, die erst Aufschluss über die relative Position zum Gegenstand ergibt. Da es sich jedoch schon um eine frühe Form der Distanzorientierung handelt, kann die Ausführungsaktivität von der Orientierungsaktivität getrennt erfolgen (z.B. als Abfolge von erst Annäherungsbewegungen und dann Nahrungsaufnahme).
Erst die Diskrimination/Gliederung ermöglicht es jedoch, sowohl Orientierungsaktivitäten wie Ausführungsaktivitäten völlig eigenständig zu vollziehen, da diese Form der differenzierenden Distanzorientierung selbst keine Aktivität mehr einschließt. Es liegt auf der Hand, dass die Diskrimination/Gliederung damit die besten Ansatzpunkte für die weitere evolutionäre Ausdifferenzierung und Entwicklung bietet.
Die Diskrimination/Gliederung als höchste Orientierungsform auf dieser Entwicklungsstufe ermöglicht Frühformen der Analyse und Synthese, also der Zerlegung und Rekombination unterschiedlicher Bedeutungseinheiten. Wie alle Orientierungsprozesse laufen diese »automatisch« ab, unterstellen also keine »bewusste Instanz«, die über die Orientierungsaktivitäten absichtsvoll »entscheidet«. So sind die entsprechenden Bedeutungseinheiten mit den entsprechenden Aktivitäten gekoppelt und wirken so als Aktivitätsauslöser oder -verhinderer. Dabei reicht es aus, wenn von der tatsächlichen Gestalt durch Vereinfachung soweit abstrahiert werden kann, dass die »richtige«, d.h. überlebensrelevante Aktivität ausgelöst wird. Solche Realabstraktionen spiegeln die jeweils artspezifische Umwelt wider. Es gibt also nicht »eine« Umwelt, sondern jede Art lebt in ihrer eigenen Umwelt, die durch die artspezfischen Bedeutungseinheiten strukturiert ist. In der Sprache der GdP:
»›Bedeutungseinheiten‹ sind also nicht als solche bestimmbar, sondern drücken immer die Beziehung von Organismen einer gewissen Ausprägungsart und Entwicklungshöhe zu den biologisch relevanten Merkmalskomplexen ihrer historisch konkreten artspezifischen Umwelt aus.« (92)
Bislang wurden sowohl die artspezifischen Bedeutungen wie auch der Zustand des Organismus einfach mitgenannt. Der nächste Anschnitt wird explizit auf Bedeutung und Bedarf eingehen. Eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung spielt dabei die Emotionalität.
Weiter geht's: 3.3 Bedeutung und Bedarf
[…] Emotionalität vermittelt also zwischen Orientierung und Ausführung (vgl. Kapitel 3.2) bzw. auf menschlichem Niveau zwischen Wahrnehmung und Handlung. Alles muss also zunächst […]
Bei unserer Rekapitulation von Kap. 3 hatten wir gestern Schwierigkeiten die Tabelle zu verstehen. Ich verstehe, dass sich Orientierung von der Ausführung trennt, aber wie kann sich die Ausführung von der Aktivität trennen?
Warum ist es so wichtig, dass sich Orientierung ind Ausführung von der Aktivität trennen?
Außerdem haben wir uns noch gefragt, ob man Sachen wahrnehmen kann, die für einen keine Bedeutung haben. In der GdP gibt es ja das Beispiel von dem Stichling, für den der rote Bauch nur dann eine Bedeutung hat, wenn er den Bedarf hat sich zu paaren. Heißt das, dass er den roten Bauch gar nicht sieht oder dass er ihn sieht, aber nicht darauf reagiert, weil er für ihn irrelevant ist?
Zu deinen/euren Fragen der Reihe nach
Tut sie nicht. Die Tabelle ist missverständlich (
ich ändere das nochist geändert). Die dritte Spalte muss lauten »Ausführung und Orientierung«. Um deren Trennung geht es.Vielleicht hat sich das nun mitgeklärt. Es geht um zwei Trennungen: (1) Ausführung von Orientierung, (2) Orientierung von Aktivität.
Vorsicht mit vermenschlichenden »man«-Formulierungen! Auch »Wahrnehmung« ist eine spezifisch-menschliche Kategorie. Ihr wolltet hier doch nicht vorschnell verallgemeinern, sondern meintet den Stichling und seine Orientierung:
Bedeutungen existieren für den Organismus tatsächlich nur während der Aktivitätsumsetzung. Wenn der Stichling also paarungsaktiv ist, dann hat der rote Bauch die entsprechende Bedeutung, sonst nicht. Wenn es sonst keine andere Bedeutung für den roten Bauch gibt (bin kein Stichling-Experte), dann existiert diese für den Stichling auch nicht, wird also auch nicht »orientierend ausgegliedert« (»gesehen«). — Guckt dazu ins nächste Kapitel!