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7.4 Operationen, Handlungen und Kooperation

Abb. 18: Von der Orientierungs-Aktivitäts-Koordination zum Wahrnehmungs-Handlungs-Zusammenhang (Klicken zum Vergrößern).

Im letzten Kaptitel (7.3) wurden die kooperativen bzw. gesellschaftlichen Zielkonstellationen als übergeordneter objektiver Handlungszusammenhang bestimmt, dessen Realisierungen die (Teil-) Handlungen des Individuums sind. Die individuell-antizipatorisch regulierten Aktivitäten, wie sie sich aus dem autarken Lernen entwickelten (vgl. Kap. 4.3), gehen mit der Herausbildung der gesellschaftlichen Natur des Menschen jedoch nicht einfach in den Handlungen auf, sondern entwickeln sich als untergeordnete und selbstständige Ebene von Operationen.

Zur Erinnerung sei noch einmal Abb. 18 wiedergegeben, wobei die in Kap. 7 getroffene bloß terminologische Unterscheidung des Zusammenhangs von Aktivitäten und Orientierungen, Operationen und Perzeptionen sowie Handlungen und Wahrnehmungen nun inhaltlich verdeutlicht werden soll.

Wie in Kap. 6.1 dargestellt, entwickeln sich die gelernten Orientierungsbedeutungen nach der Zweck-Mittel-Umkehrung zu Mittelbedeutungen bei der verallgemeinerten Herstellung von Arbeitsmitteln, wobei der Hergestelltheits-Aspekt gegenüber dem Brauchbarkeits-Aspekt bestimmend ist. Die individuellen Antizipationen auf der Ebene der Operationen erhalten ihre Struktur und Ausrichtung durch die übergeordneten Handlungszusammenhänge, in denen die Herstellung der verallgemeinerten Gebrauchszwecke objektiv antizipiert ist:

»Den verallgemeinerten Gebrauchszweck muß man (gemäß dem berühmten Marxschen Baumeister-Bienen-Beispiel [MEW 23, S. 193]) vorher ›in seinem Kopf‹ haben, ehe man seine Herstellung antizipieren und realisieren kann; und in den ›Kopf‹ kommt er aus übergeordneten Handlungszusammenhängen, zunächst auf dem Wege über ›kooperatives‹ Beobachtungslernen, dann (mit der weiteren Menschwerdung) immer mehr auch als sprachlich-symbolischer kommunizierter ›praktischer Begriff‹« (270)

Durch den angeeigneten praktischen Begriff (vgl. Kap. 6.3) »weiß« das Individuum, was das Ergebnis der Herstell-Operationen sein soll. Das bloße Probieren/Beobachten (vgl. Kap. 7.2) in der natürlichen Umwelt entwickelt sich nun zur Koordination von Beobachtung und operativem Planen innerhalb vorgängig geschaffener zunächst kooperativer und schließlich gesellschaftlicher Bedeutungsstrukturen.

Auch in Bezug auf den Brauchbarkeits-Aspekt der Mittelbedeutungen ist das Probieren nur noch ein Sonderfall der Aneignung vergegenständlichter Gebrauchszwecke. Die Regel ist nunmehr die planvoll-lernende Erschließung der indendierten Brauchbarkeiten der Produkte. Als Sonderfälle des Probierens werden in der GdP vier Punkte genannt (273f):

  1. Wissenschaft als »›Probieren‹ … an der ›Front‹ der gesellschaftlichen Erfahrungsgewinnung«
  2. »›Probieren‹ im Zuge der Individualentwicklung« von Kindern
  3. »›Probieren‹ innerhalb von ›Spielräumen‹«, in denen es keine festen Vorgaben gibt
  4. »›Probieren‹ aufgrund der partiellen Isolation des Individuums von kooperativen Lebenszusammenhängen«, wodurch es sich »wie in einer ›natürlichen Umwelt‹ zurechtfinden muß«

Holzkamp betont, dass »keine dieser vier Formen des ›Probierens‹ mit dem Probieren höchster Tiere bei autarkem Erkundungslernen gleichzusetzen ist« und folgert:

»Das Konzept des ›Neugier- und Explorationsverhaltens‹ ist also zur Charakterisierung der menschlichen Regulation von Beobachtungs-Operations-Koordinationen, weil noch unterhalb des ›menschlichen‹ Niveaus zu orten, total ungeeignet« (274)

Wenn die operative Planung individueller Handlungen im übergeordneten objektiven Handlungszusammenhang ihre Funktion bekommt, heißt dies nicht, dass umgekehrt der übergeordnete Handlungszusammenhang sich quasi als Summe aus den individuellen Operativ-Planungen ergibt. Das bedeutet auch, dass individuelle Handlungen nicht als Resultat individuell-antizipatorisch regulierter Operationen begriffen werden können. Dies ergibt sich schon daraus, dass die kooperativen Ziele nicht als solche, also nicht unmittelbar in die antizipatorische Regulierung der Operationen eingehen. Holzkamp veranschaulicht dies am Jäger-Treiber-Beispiel (das entwicklungslogisch sogar noch zur »naturhaften« Sozialkoordination gehört):

»Schon für den ›Treiber‹ sind zwar die Tatsache, der Zeitpunkt, die Richtung etc. des ›Treibens‹ aus dem übergeordneten sozialkoordinativen Zusammenhang der gemeinsamen Jagd/Umverteilung vorab festgelegt. Die Operation des ›Treibens‹ selbst reguliert sich aber … nur an dem individuell antizipierten Operationsresultat …: Das Handlungsziel der Beute bzw. der Beteiligung an deren Verteilung, ebenso wie die übergeordnete Handlungsstruktur … sind dagegen für die perzeptiv-operative Aktivitätsregulation, die den Erfolg des ›Treibens‹ ausmacht, nicht konstitutiv.« (281)

Operationen sind zwar Realisierungen von individuellen Handlungen, die ihrerseits Realisierungen gesellschaftlicher Zielkonstellationen sind. Die Operationen sind aber weder durch Handlungen unmittelbar strukturiert, noch konstituieren umgekehrt Operationen die individuellen Handlungen. Geht es also darum, den übergeordneten Handlungszusammenhang zu schaffen oder zu verändern, so kann dies nicht auf der operativen Realisierungs- oder individuellen Handlungsebene geschehen:

»Erst wenn durch die Beteiligung des Einzelnen die kooperative Zielkonstellation/-organisation auf ›nichtoperative‹ Weise geschaffen oder geändert wurde, haben die ›Operationen‹ wieder ihre ›Teilziele‹« (282)

Diese Aussagen lassen sich auf die Kooperation von Individuen in übergreifenden Handlungszusammenhängen ausdehnen: Kooperation kann die interindividuelle reziproke Steuerung von Operationen einschließen, muss dies aber nicht:

»›Kooperation‹ als Charakteristikum der sich herausbildenden gesellschaftlichen Lebensgewinnungsform ist ein in der Produktions- und Reproduktionsweise entstehender objektiver überindividueller Zusammenhang verallgemeinerter Vorsorge für die je individuelle Existenz, an dem der Einzelne teilhat, nicht aber gleichbedeutend mit dem aktuellen Zusammenwirken von Individuen auf ›operativer‹ Ebene.« (283)

Kooperation darf also nicht als »unmittelbares Miteinander-Tun« missdeutet werden, denn mit der Durchsetzung der Gesellschaftlichkeit wird die »mittelbar-gesellschaftliche Beziehung zwischen den individuellen Teilarbeiten« (ebd.) — die gesellschaftliche Arbeitsteilung — bestimmend.

Abschließend läßt sich das individuelle Handeln wie folgt definieren:

»Individuelle Handungen entstehen als Realisierungen oder als Beiträge zur Änderung von kooperativ-gesellschaftlichen Ziel-Mittel-Konstellationen verallgemeinerter Vorsorge für die je individuelle Existenzsicherung« (ebd.)

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