Vorher lesen:

Artikel drucken

8.4 Gesellschaftsformationen

Die Art und Weise, wie die Menschen ihre Lebensbedingungen gesellschaftlich herstellen, verändert sich historisch. In der GdP wird die traditionelle marxistische Formationstheorie genutzt, um einen weiteren Leitgesichtspunkt der Analyse zu formulieren. Dabei wird die Seite des Stoffwechsels mit der Natur unter Einsatz von Arbeitsmitteln bzw. Produktionsmitteln (vgl. Kap. 7.3 und Kap. 7.6) mit dem Begriff der Produktivkraftentwicklung und die Seite der dabei eingegangenen sozialen Beziehungen mit dem Begriff der Produktionsverhältnisse gefasst.

Holzkamp stellt die entsprechenden gesellschaftstheoretischen Überlegungen in einer gerafften Übersicht in einem Exkurs dar. Die folgende noch kürzere Zusammenstellung erfolgt als Kompilation von Zitaten aus diesem Exkurs, wobei jedoch die Hervorhebungen weggelassen werden.

Die Produktionsweisen — als widersprüchliche Einheit aus Produktivkräften und Produktionsverhältnissen — entwickeln sich nach der »noch unausgeprägten urgesellschaftlichen Vorform bis an die Schwelle des Sozialismus« als »antagonistische Klassenverhältnisse« (199). Die Gesellschaft teilt sich in solche Klassen, die in den »Besitz der gesellschaftlichen Produktionsmittel« gelangt sind, und solche, die ihren Beitrag zur Existenzsicherung »zu den Bedingungen und unter dem Kommando der Produktionsmittelbesitzer« (ebd.) leisten müssen. Ein Ausbeutungsverhältnis liegt dann vor, wenn die Produktionsmittelbesitzer sich — »ohne selbst produktiv zu arbeiten« — die »von den ›Mittellosen‹ geschaffenen Lebensmittel/-bedingungen« aneignen und diesen nur den Teil zurückgeben, »der zur Reproduktion von deren Arbeitskraft« (ebd.) notwendig ist. Das bedeutet gleichzeitig die »Ausübung von Macht und Herrschaft über andere Menschen«, die nur von der »Gegenmacht der ausgebeuteten Klassen« begrenzt wird, und die nach Möglichkeit »auf die Brechung der Macht der herrschenden Klasse als Herrschaft der ›Besitzenden‹ über die ›Besitzlosen‹« (ebd.) gerichtet ist.

Die Klassenspaltung erzeugt komplementäre Partialinteressen: Dem »Interesse der herrschenden Klassen an der Aufrechterhaltung der bestehenden Machtverhältnisse« steht das »Interesse der ›beherrschten‹ Klassen … an der relativen Erweiterung der eigenen Bedingungsverfügung und Daseinsentfaltung in Einschränkung der Fremdbestimmung durch die herrschenden Klassen« gegenüber, wobei letztere darüberhinaus ein »Allgemeininteresse an der Überwindung von Verhältnissen klassenbedingter Fremdbestimmtheit überhaupt« (199f) haben.

Durch den tendenziellen Ausschluss der beherrschten Klassen von der »Verfügung über den gesellschaftlichen Gesamtprozeß« entsteht ein »Widerspruch zwischen den aufgrund der Produktivkraftentwicklung gegebenen Möglichkeiten der allgemeinen Bedingungsverfügung und Daseinsentfaltung durch wachsende bewußte Vergesellschaftung der Produktion und der historisch bestimmten Beschränkung und Fesselung dieser Möglichkeiten durch die antagonistisch-klassenbestimmten Produktionsverhältnisse« (200). Daher »ist die Überwindung der bestehenden Produktions- und Machtverhältnisse als Voraussetzung für die Realisierung der durch die Produktivkraftentwicklung und den damit gegebenen Vergesellschaftungsgrad eröffneten Möglichkeiten bewußter kollektiver Selbstbestimmung und Daseinsentfaltung ein über das Partialinteresse der beherrschten Klassen hinausgehendes allgemeines Interesse« (ebd.).

Die »antagonistischen Klassenverhältnisse [erreichen] in der bürgerlichen Gesellschaft … mit der Entwicklung der großen Industrie eine neue Größenordnung« (201). Die Produktionsverhältnisse reproduzieren sich »nicht mehr lediglich durch direkte Machtausübung der herrschenden Klassen, sondern primär durch einen bestimmten ökonomischen Regulationsprozeß auf der Grundlage der Warenform« (ebd.). Die von Subsistenzmittel enteigneten Lohnarbeiter verfügen »nur noch über ihre Arbeitskraft« und »müssen so diese Arbeitskraft in der durch universellen Warentausch regulierten Zirkulationssphäre der bürgerlichen Gesellschaft als ›Ware‹ auf dem ›Arbeitsmarkt‹ an den Kapitalisten verkaufen« (ebd.) So entsteht der »objektive Schein der ›Freiheit‹ und ›Gleichheit‹ von Warenbesitzern, die in einem Vertragsverhältnis Ware gegen Geld … austauschen« (ebd.). Der Arbeiter erhält dabei jedoch soviel von den »von ihm produzierten Werte … als Lohn zurück, wie dies zur Reproduktion seiner Arbeitskraft notwendig ist, der darüberhinaus produzierte ›Mehrwert‹ wird aber vom Kapitalisten unentgeltlich angeeignet und als ›Kapital‹ kumuliert« (ebd.). Der darin liegende »zentrale Widerspruch zwischen oberflächlichem Rechtsverhältnis und zugrundeliegendem Ausbeutungsverhältnis prägt sämtliche Lebensbereiche der bürgerlichen Gesellschaft« , wodurch sich der »Klassenantagonismus primär aufgrund der … ökonomischen Zwänge (zum Verkauf der Arbeitskraft etc.) im Selbstlauf reproduziert« (ebd.).

Die bürgerliche Ideologie mystifiziert die »bürgerliche Klassenrealität als allgemeine und ewige Weise menschlichen Zusammenlebens« (202). Zusammenfassender letzter Satz in diesem Exkurs (wieder mit Herv.):

»Das Partialinteresse des Kapitals an der Erhaltung seiner Macht ist so ideologisch mit dem Allgemeininteresse gleichgesetzt, und die ausgebeutete Klasse muß, soweit sie nicht nur um Verfügungserweiterung und Existenzsicherung im Rahmen des bestehenden Ausbeutungsverhältnisses, sondern um die Überwindung des Ausbeutungsverhältnisses selbst kämpft, nicht nur die entsprechende Gegenmacht entfalten, sondern auch den objektiven Schein durchdringen, daß die Erhaltung der kapitalistischen Produktionsweise als ›allgemeine‹ und ›natürliche‹ Lebensform auch in ihrem Interesse ist, so die Möglichkeit und Notwendigkeit bewußter gemeinsamer Verfügung aller Menschen über den gesellschaftlichen Prozeß als ihre Existenzbedingung erkennen.« (202)

Im nächsten Kapitel setze ich mich in einem eigenen Exkurs mit dieser hier nur zusammengefassten Sichtweise kritisch auseinander.

Weiter geht's:

3 Kommentare

Kommentar