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4.4 Individuelle Entwicklung in Sozialverbänden

Abb. 13: Dominanzwechsel der Lernfähigkeit, Schritt 4.3: Absichernde Sozialverbände (Klicken für Übersicht über alle drei Analyseschritte)

Das autarke Lernen kann sich evolutionär gegenüber der Festgelegtheit und dem subsidiären Lernen nur durchsetzen, wenn die Selektionsnachteile der Unsicherheit und Offenheit in der Lernphase kompensiert werden. Diese Funktion übernehmen die Sozialverbände, in die das lernende Individuum eingebunden ist (vgl. Abb. 13).

Die Sozialverbände basieren ihrerseits auf gelernten Sozialbeziehungen, die die Absicherung des individuellen Lernens ermöglichen. Die einzelnen Tiere durchlaufen eine Jugendphase, wodurch die Lernfähigkeit zur individuellen Entwicklungsfähigkeit wird. Entsprechende Schutz- und Anleitungsaktivitäten durch die Elterntiere und insgesamt durch den Sozialverband bieten den notwendigen Unterstützungsrahmen. Das Spielverhalten der Jungtiere dient der Vorbereitung auf den späteren Ernstfall, die durch eine entsprechende »Funktionslust« emotional aktiviert wird.

Innerhalb der Sozialverbände ermöglicht das Beobachtungslernen eine tierische Traditionsbildung, mit dem individuelle Lernerfahrungen sozial von einem Tier auf andere Tiere übertragen werden. Dabei kommt dem Erlernen sozialer Bedeutungen und Aktivitäten, dem Einüben sozialer Kommunikationsformen und die Einfindung in den Sozialverband eine wichtige Rolle zu. Störungen des sozialen Lernens können psychische Störungen bei individuellen Tieren zur Folge haben, was bis hin zum Ausschluss aus dem Sozialverband führen kann.

Der globale Kontrollbedarf und die Motivation richten sich folglich zunehmend auf die Integration in den Sozialverband und werden zum Bedarf nach sozialer Absicherung und Orientierung. Der individuellen Kontrolle über die Sozialaktivitäten und Sozialbeziehungen steht die Angstbereitschaft gegenüber, diese Kontrolle zu verlieren und damit auch die individuellen Vorausetzungen für die motiviert-gerichteten antizipatorischen Lernprozesse — was die Existenz des Individuums in Frage stellen kann. Daraus ergibt sich auch die objektive Funktion für die Arterhaltung im evolutionären Prozess: Motiviertes autarkes Lernen in absichernden Sozialverbänden erhöht den Selektionsvorteil gegenüber subsidiären Lernformen.

Eine weitere Möglichkeit, die Offenheit und Langsamkeit autark erlernter gegenüber festgelegten Aktivitäten zu kompensieren, ist die Ausbildung sekundärer Automatisierungen, die an die Stelle der artspezifischen, festgelegten primären Automatismen treten. Wiederholt eingeübte Aktivitäten stehen prompt zur Verfügung, können durch Umlernen jedoch auch wieder verändert werden.

Die Lernfähigkeit hat sich dann im Evolutionsprozess dann durchgesetzt, wenn es nicht mehr ohne sie geht, wenn also

»das Tier ohne den individuellen Entwicklungsprozeß wesentliche Bestimmungen seiner artspezifischen Aktivitätsmöglichkeit nicht mehr zu realisieren vermag. (…) Die Einzeltiere können … ohne die ›erfolgreiche‹ Hineinentwicklung in den Sozialverband ihre individuelle Existenz nicht mehr sichern, da sie in ihren artspezifischen Fähigkeiten verkümmern und ›lebensunfähig‹ werden (›ein isolierter Affe ist kein Affe‹)« (157)

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